Montag, August 28, 2006

Dunkle Natur


Projektraum FILTER widmet dem Sujet „Wald“ eine Gruppenausstellung – mit drei KünstlerInnen aus Island, USA und Spanien.

Der nostalgisch verklärte Blick auf den Wald als Gegenentwurf zur rastlosen, hochgetakteten Existenz in den Städten ist keine Erfindung unserer Zeit. Wald als Mythos, als Sehnsuchts- und Zufluchtsort, so kannten ihn schon die großen Romantiker des 18. Jahrhunderts. Literaten wie Künstler preisen seit dem seine geheimnisvolle Aura und selige Natur. „Back to Nature“ - dieses Postulat wird heute noch immer dann laut, wenn Chaos und Unsicherheit im hyper-urbanisierten Leben derart zusetzen, dass nur noch die Flucht in die archaischen Wälder Rettung verspricht. Doch Vorsicht. Der Wald kann auch anders. Als Hort des Unheimlichen ist er Brutstätte des Bösen, Heimat märchenhafter Kreaturen und düsterer Geheimnisse .
Diese trifft man in der Arbeit der isländischen Künstlerin Gabríela Fridriksdóttier an. In ganz unterschiedlichen Medien – u.a. Skulpturen, Video und Zeichnungen – erzählt die 35-jährige mit skurriler Bildsprache aus der Sagenwelt Islands. Bizarre Natur gepaart mit dunklem Spiritualismus eröffnen dem Besucher eine fantastische und phantasmagorische Welt zwischen Fiktion und Realität. Fridriksdóttier, die mit ihrer Landsmännin Björk und deren Mann, dem Filmkünstler Matthew Barney bereits mehrere Musikprojekte realisierte, zeigt in der Ausstellung „a forest“ einen Teil der Installation Versation/ Tetralogia, damals eigens zusammengestellt für die Venedig Biennale 2005.
Als grausamer Peiniger zeigt sich die Natur in den Zeichnungen des Spaniers Luis Vidal. Karge Landschaften dornenreicher toter Bäume schreiben sich schmerzhaft in die Haut von Kindern ein. Zarte schwarzen Linien, der leichte Duktus, ein sanft hingetupftes Rot, scheinen die inhaltliche Botschaft zunächst zu verharmlosen. Schließlich geht es um Kindesmissbrauch. Doch dann wird klar, dass Vidals Stil die Zerbrechlichkeit von Kindern in einer feindlichen Umwelt unterstreicht und durch diesen Kontrast einen viel stärkeren, verstörenden Eindruck hinterlässt. Vidals Garden Eden entpuppt sich als infernalischer „Garden of Abuse“, in dem die grausame Natur für das Böse im Menschen steht.
Die Ausstellung „a forest“ im Projektraum FILTER wird erstmals von Gastkuratoren ausgerichtet – von Jocelyn Adele Gonzales Junco (Miami/ Hamburg), Kunstkritikerin und Kuratorin, sowie Gamaliel Herrara, Ausstellungsmacher und Leiter des „Space Other“ in Boston. Dort findet im Anschluss an die Show in Hamburg der zweite Teil von „a forest“ statt, mit KünstlerInnen wie Cang Xin (Beijing), Matias Faldbakken (Oslo), Guadalupe Ruiz Cifuentes Rihs (Zürich) und Ulla von Brandenburg (Hamburg).

Christiane Opitz

Gabríela Fridriksdóttier, Luis Vidal, Oliver Lutz : « a forest », FILTER, 28.8. (Vernissage) bis 23.9.

Published in SZENE HAMBURG 09/06

Sonntag, August 20, 2006

Heimat ist Utopie


Der Mensch geht nicht mehr durchs Leben, er hastet. Im modernen Alltag beschleunigen Körper und Geist immer rasanter, bis sie hochgetuned, im Einklang mit ihren technischen Prothesen schwingen. Fortbewegung in schnellen Transportmaschinen lassen ein Verweilen an einem Ort nicht mehr zu. Man bleibt im Jetzt – mit Blick auf Morgen – ohne zurück zu schauen.
Die Welt ist klein, ein Dorf gar, und dennoch ist die Reise nie zu Ende, man kommt nie an.
Moderne Kommunikationsgeräte nehmen sich des Geistes an. Internet und Mobiltelefon lassen den „realen“, körperlichen Raum verschwinden und schaffen als Ersatz eine temporäre Kommunikationsblase, die Anwesenheit und Nähe nur simuliert. Die Menschen entfremden sich zunehmend vom Ort, in dem ihre Körper leben. Und somit von den Körpern selbst.

Angesichts dieses Gefühls der Ent-Ortung, die der Mensch in globalisierten Zeiten empfindet, stellt sich die Frage nach einem Verbleib des Ortes generell – und dem Verbleib des kontemplativen, stillen Ortes im Speziellen. Möglicherweise ist die Heimat so ein Ort.
Inmitten einer sich immer schneller drehenden Welt, scheint „Heimat“ eine Insel ohne Zeit zu sein. Dieser Platz ist individuell verschieden. Für manche ist die Heimat im Schwarzwald, für manche in Berlin, für wieder andere ist sie eine Kleinstadt in Franken. In den meisten Fällen ist Heimat noch kleiner und zeigt sich in Form markanter Eckpunkte, einer Straße, einer Schule oder Geschäfts. Doch existiert dieser Ort tatsächlich?
Bei genauer Betrachtung ist Heimat eigentlich kein echter Ort. Jedenfalls kein konkreter Platz zum Sehen und Anfassen. Genau genommen ist es vielmehr umgekehrt: Heimat „fasst an“. Sie ist, obwohl immer wieder auf Orte bezogen, ein Nicht-Ort. Heimat ist Kindheit, Sicherheit, eine Zeit, in der die Welt noch in Ordnung war. Cowboy und Indianer. “Wetten dass…?” mit den Eltern und Geschwistern in Wohnzimmer. Biene Maja. Gute-Nacht-Geschichten. Legoburgen und Weltraumstationen.
Diese Zeit existiert nur noch in unserer Erinnerung – daher ist Heimat Utopie. Sie versinnbildlicht ein utopisches Sich-Verzehren und Sich-Sehnen nach einem vergangenen Zustand, der einmal war oder für etwas steht, das fehlt. Heimat als Sehnsuchtsbezirk, der vorrangig durch das Gefühl des Verlustes, des Heimwehs, spürbar wird.
In diesen utopischen Ort kann nur unser Geist reisen. Unserem Soma bleibt die Rückkehr zum Planeten Heimat verwehrt. Allerdings benötigen wir noch die Sinne für die schöne Immersion. Geschmack, Gehör und Geruch fungieren als Portale, die direkt zum Ort der Heimat führen. Ein Stück Apfelkuchen im Mund erinnert uns an die Backkünste unserer Oma – und plötzlich: sitzen wir wieder in ihrer Küche mit dem alten Kachelofen und sind wieder acht Jahre alt. Oder der Wind treibt den Geruch von verbranntem Gummi in unsere Nasen – und plötzlich: sind wir wieder fünfzehn und hinterlassen mit unseren Mofas schwarze Reifenspuren auf dem Asphalt.

Accompanying text to the exhibition "Wurzelbehandlung", published September 2005

Richtungswechsel


Neue Arbeiten des polnischen Malers Wawrzyniec Tokarski bei Vera Munro

Keiner verabreicht uns die bittere Medizin aus Konsumkritik und Globalisierungswahn so schonend wie Wawrzyniec „Wawa“ Tokarski. Seine politische Botschaft springt den Betrachter nicht mit einem Schrei aus dem Werk heraus an, sie lacht ihm vielmehr auffordernd ins Gesicht – manchmal mit einem Augenzwinkern. Tokarskis Arbeiten kommen formal auf zwei stabilen Beinen daher. Der Bildebene, oft fragmentarisch auf das Wesentliche beschränkt, steht gleichberechtigt eine Ebene der Zeichen gegenüber. Worte, Logos und Symbole gehören zu dem popkulturellen und poetischen Zeichenvorrat, aus dem Tokarski schöpft. Zwei Malereien der Ausstellung spielen mit dem verfälschten Emblem der Vereinten Nationen, das einmal blutrot auf gewischtem braun-pinkfarbenen Untergrund mit dem Spruch „Safe. Then Sorry“ versehen ist. Die andere Arbeit zeigt einen Himmel aus verschiedenen Blautönen, dem mittig, kaum sichtbar, der Lorbeerkranz des UN-Logos mit dem Ausdruck „O.K.“ eingeschrieben ist. Tokarskis künstlerisch-politische Praxis erinnert an die situationistische Kunst Guy Debords, allerdings ohne diese Wut im Bauch, ohne das klare Ziel des Umsturzes im Sinn. Tokarski scheint eher den leisen Aufstand zu proben. Dazu nimmt er hegemoniale Zeichen aus ihrem gewohnten Kontext heraus und lädt sie mit neuer subversiver Bedeutung auf. Da kann schon mal aus dem Logo der Jeansmarke „Levis“, das Wort „Evil“ werden. Besonders auffällig ist in diesem Zusammenhang die Referenz zur aktivistischen Bewegung der „Culture Jammer“, die sich – seit den 90er Jahren – in verschiedenen Ausprägungen, mal mehr mal weniger politisch, zeigt. Meistens geht es darum, starke Werbezeichen, zum Beispiel auf Billboards umzudeuten, um sich so den öffentlichen Raum zurückzuerobern. Auf der Straße werden diese Kämpfe vom herumschweifenden Streetartisten ausgefochten, die, mit Schablonen und Sprühdosen bewaffnet, Zeichen im urbanen Raum anbringen oder verändern. Auch Tokarski bedient sich dieser Techik, wenn er in der Arbeit „Down of...“ ein Heer von Friedenstauben – mit Schablone auf die Leinwand aufgebracht – vor einem apokalyptischen Himmel aufsteigen lässt. Im Gegensatz zu diesem wohlbekannten Motiv der Friedensbewegung fliegen hier die Tauben in die entgegengesetzte Richtung davon. Sollen wir also eine andere Marschroute einschlagen, Herr Tokarski? Wissen Sie, was zu tun ist?

Text zur Ausstellung „Sie wissen was zu tun ist. Danke“ von Wawrzyniec Tokarski, Galerie Vera Munro, 1.2. bis 28.3. 2006

Published in SZENE HAMBURG 02/06

Der Verweiser


Artfinder zeigt neue Arbeiten des schwedischen Künstlers Jacob Dahlgren.

Jacob Dahlgren nimmt uns mit auf eine vergnügliche Reise in die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Vergnüglich deshalb, weil seine Verweise auf die großen Minimalisten und Konstruktivisten nicht übers Knie gebrochen daherkommen, sondern immer humorvolle, unprätentiöse Huldigungen seiner ästhetischen Vorbilder sind. Das liegt auch an Dahlgrens Materialwahl. Er arbeitet bevorzugt mit Alltagsprodukten, wie Jogurtbechern, Buntstiften, Folien oder Dartscheiben, die er als farbenfrohe, "skulpturale Malereien" mal minimalistisch-reduziert mal opulent im Raum positioniert.
Doch nicht nur auf der Materialebene existieren Parallelen zwischen Alltag und Kunst. Dahlgren lässt sich bewusst von Mustern und Farben seiner Umgebung inspirieren. Gestreifte Markisen, T-Shirts, gelb-schwarze Absperrmarkierungen und Schachbrett-Fliesen sind solche Muster, die er im Alltag findet und die ihm als Vorlage für neue Arbeiten - insbesondere seiner bekannten "Streifen" à la Daniel Buren - dienen. Zusätzlich angefertigte Fotos der Patterns stellen auf einer weiteren Ebene Referenzpunkte zwischen Kunstraum und der „Welt da draußen“ dar. Dazwischen scheint es keine hierarchische Ordnung zu geben.
In der Ausstellung "Early One Morning" sieht sich der Besucher erneut mit stilgeschichtlichen Zitaten konfrontiert. Auf dem Boden hat Dahlgren 64 Personenwaagen, eines bekannten schwedischen Möbelriesen, zu einer quadratischen Bodenskulptur angeordnet - Minimalkünstler Carl Andre lässt grüßen! Eine gelbe, eine dunkelbraune und eine schwarze Tür sind zu einem Tafelbild zusammengesetzt, das ohne Zweifel eine Hommage an Blinky Palermos konstruktivistische Formsprache darstellt.
Eine dritte Arbeit nimmt Bezug zum Ausstellungsort Hamburg oder noch spezifischer: zur Fleetinsel. Hier kann man an den Brücken „Durchfahrt-verboten“- Schilder sehen, deren rot-weiß-rote Farbgebung in gewohnter Manier vom Künstler aufgegriffen wird.
Ganz im Sinne des postmodernen Samplings bedient sich Dahlgren aus dem Fundus der Kunstgeschichte. Was dabei herauskommt sind keine geklauten Ideen, sondern spielerisch-clever zitierte "Klassiker der Moderne in neuem Gewand“. Dem Schweden gelingt das Kunststück, eigentlich unvereinbare Gegensätze miteinander zu verknüpfen, indem er Kunst und Alltag, billig (Material) und exklusiv (Werk) oder alt (Zitiertes) und neu (Zitat) zusammenbringt. Schöne, neue, abstrakte Welt.


Text zur Ausstellung „Early One Morning“ von Jacob Dahlgren; Galerie artfinder/ Hamburg, bis 15.04.2006

Published in SZENE HAMBURG 04/06

Der Fallensteller


Vier japanische Künstler bei Contemporary Art International

Verführerisch glänzend liegt sie da, die 2 Euro-Münze. Ganz so, als wäre sie einem achtlosen Menschen zufällig aus der Tasche gefallen. Wer jetzt den Fehler begeht, sie aufzuheben und einzustecken, der tappt in die Falle des Shiro Masuyama. Die Münze ist Teil eines Versuchsaufbaus. An ihr ist ein Draht befestigt, der eine Art Alarm in Form eines ohrenbetäubenden, klappernden Geräusches auslöst. Außerdem wird der Ahnungslose durch helles Stoboskoplicht, das einen Kamerablitz simulieren soll, geblendet.
Shiro Masuyama hat das Projekt „500 Yen“ bereits in den Metropolen Wien, Hongkong und Berlin, am lebenden Objekt getestet. Immer unter Verwendung einer einheimischen Münze als Köder, die er mal im Ausstellungsraum, mal auf der Straße, in einem Hauseingang oder auf einem Tisch, möglichst unauffällig platziert.
Der 35-jährigen Masuyama, der in Berlin lebt und arbeitet, ist fasziniert von der Idee, mit seinen Installationen, die er als Fallen einsetzt, zufällig Passierende oder Galeriebesucher anzulocken und sie zu bestimmten Reaktionen zu verleiten. Seine Intention: Die individuellen Verhaltensweisen aus einem reglementierten sozialen Miteinander zu isolieren – auch das klassische Verhältnis von Künstler und Rezipient gerät so ins Wanken. Dadurch, dass die Szenen gefilmt werden, kommt noch eine weitere Ebene hinzu: Der Beobachter beobachtet sich selbst auf einem Monitor als Teil des Kunstwerkes.
Gehen dem Japaner im öffentlichen Raum Probanden ins Netz, löst er die Situation immer auf, indem er sie anspricht und ihnen erklärt, dass sie unfreiwillig Teil eines Kunstprojektes geworden sind. Kaum zu glauben, dass er, wie er beteuert, selten wütende, sondern eher gleichgültige Reaktionen auf seine „Versuche“ erhält.
Beim Hamburger Kunstfestival „Dingdong“ im April war Masuyama mit seiner Installation „Parky Party“ vertreten, einer Single-Bar, in der die Besucher in einzelnen Kabinen isoliert an ihrem Getränk nippten, ohne die Chance zur Kommunikation mit anderen Gästen oder dem Barkeeper. Im Gegensatz zu „500 Yen“ ließen sich die Besucher hier freiwillig auf das Experiment ein.
Neben Shiro Masuyamas Installation sind bei „Episodes of Summer Vol. 1“ Fotoarbeiten von Ryo Hamada, Akihiro Higuchis bemalte Schmetterlinge und Yoshiaki Kaihatsus Styropor-Arbeiten zu bewundern.

Text zur Gruppen-Ausstellung „Episodes of Summer Vol.1“; Contemporary Art International 2.6. bis 13.8.06

Published in SZENE HAMBURG 06/06

Nie mehr allein


Der Projektraum FILTER präsentiert internationale Künstlerkollektive

Was haben Hügel aus menschlichen Körpern, multivalente Holzpuzzles und himmlische Energieblitze gemein? Man begegnet ihnen in der neuen Ausstellung des Kunst- und Projektraums Filter, wo im April international agierende, junge Kunstkooperationen im Fokus stehen.
Mit von der Partie sind u.a. das Schwesternpaar Tasha und Monica Lopez de Victoria, aka TMSisters, aus Miami. Einst organisierten sie Punkkonzerte, Happenings, brachten Fanzines heraus und nähten ihre Kleidung selbst. Heute setzt sich diese Do-it-Yourself-Ethik in ihren Arbeiten fort. Besonders beeindruckend sind ihre bunt-dynamischen Collagen aus Fotos, glitzernden Texturen und Stickereien. Und immer wieder Blitze. Sie sind als Motive in den Arbeiten der Amerikanerinnen allgegenwärtig, als Zeichen einer göttlichen Omnipräsenz und spiritueller Energie zugleich. Auch in ihrem Videogame „Super Bolt“, das vom Besucher der Ausstellung natürlich gespielt werden darf, blitzt es gewaltig. Und mittendrin der Spieler, der als Operateur seines virtuellen Stellvertreters direkt an der Arbeit der TMSisters partizipiert.
Auch die japanisch-polnischen Akteure von TOY fordern den Besucher auf, sich aktiv mit ihrem Werk auseinander zu setzten – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. TOY machen mehrteilige Holzskulpturen, die sich als Puzzles immer wieder zu neuen Figuren zusammen setzen lassen. So entstehen verschiedene Motive, wie Tiere, Schiffe, Landschaften oder Stadtarchitekturen. Die Künstler selbst spielen dabei auch - mit dem geografischen Raum zum Beispiel, der im Falle des Kollektivs selbst – die Individuen zwar voneinander trennt, die konzeptionelle Zusammenarbeit jedoch nicht zu stören vermag.
Leichter haben es die Künstlerinnen von VIP, zumindest in puncto Distanz, denn sie leben und arbeiten gemeinsam in Leipzig. Fotos bzw. Videos von Grit Hachtmeister, Lysann Buschbeck und Kathrin Pohlmann zeigen meist die Protagonistinnen selbst in traurig-gefühlvollen Situationen. Für den 2-minütige Videoloop „Menschenhaufen“ haben sie Freunde und Bekannte zusammen getrommelt, um sich im öffentlichen Stadtraum Leipzigs als lebende Hügel auf Bürgersteige und an Häuserecken zu legen. „I don´t wanna die alone“ heißt es in einem Lied, welches die Dia-Installation der Leipzigerinnen untermalt und betitelt. Eine autobiografische, elegische Arbeit. Weitere Positionen der Hamburg-Zürich-Connection OLGA und Beer Bench Gospel aus Vancouver, vervollständigen die Ausstellung „Episoden und Fragmente“.

Text zur Gruppen-Ausstellung „Episoden und Fragmente“, Projektraum FILTER, bis 30.4.06

Published in SZENE HAMBURG 04/06

Planeten & Blumen


Kunst und Club-Kultur? Nachtleben und Ausstellungen? Planeten & Blumen wartet mit einem ganz neuen Konzept auf. SZENE HAMBURG hat mit den Initiatoren gesprochen.

Wie Phönix aus der Asche ist das Planeten & Blumen nach fast einjähriger Pause wieder auferstanden. Die Macher sind mit neuen Ideen und solider elektronischer Tanzmusik zurück, Optimismus und Spaß in der Stadt zu verbreiten.
„Wir betrachten den Raum als Installation mit Menschen darin, die eine Party feiern und Spaß haben“, erklärt Thomas Schumann das Konzept des Clubs. Er ist einer der kreativen Köpfe hinter Planeten & Blumen. Alle paar Monate werden internationale Künstler eingeladen, um unter der Prämisse „Create your own disco!“, den Raum für ihre persönliche Vision zum Thema „Disco“ zu gestalten. Momentan findet bereits die dritte Kunstausstellung in den Räumlichkeiten statt: Michael Conrads „Space for Rent“.
Ob trashig-ironisch oder blumig-schön – die wechselnden Raumgestaltungen waren schon genauso legendär wie die Partys selbst. Doch vor etwa einem Jahr wurde das Planeten & Blumen plötzlich geschlossen. Den sechs Verantwortlichen war die umfangreiche Organisation über den Kopf gewachsen und sie widmeten sich erst mal wieder kleineren Projekten. Doch aufgrund der großen Nachfrage und weil den Betreibern ihr Club doch sehr zu fehlen begann, ist das Planeten & Blumen wieder da.
Das ursprüngliche Konzept wird beibehalten. Weiterhin wird es keine großen Bookings geben. Die DJs und Musiker sollen eher spontan auf ein paar Beats vorbeikommen, weil sie die die Betreiber und den Laden kennen und schätzen. Das Partyvolk wird nicht wegen eines berühmten Namens ins Planten & Blumen kommen, sondern von den besonderen Vibes & dem Blumendurft angelockt werden. Freitags geben sich die Residents Marc Schneider ( ehem. Clicke-Resident), Zoran Zupanic (Golden Pudel Club) und Anton Silber (Tanzhalle und Golden Pudel Club) die Ehre. Neu im Programm ist der Tanzabend am Donnerstag: Auf der Party „La Mirage“ können in unregelmäßigen Abständen feierwütige Schwule die Sau rauslassen. Im Gegensatz dazu wird samstags eher die Gemütlichkeit zelebriert: „Sexy House mit Seele garniert“. Neben allerlei musikalischen Schmankerln aus dem Elektronikland sind auch Vorträge, Lesungen, Happenings und Shows anvisiert, darunter die amüsante Talk-Runde Knarf Rellöms „Auf anderen Planten“.
An einer Zusammenarbeit in Kunstinstitutionen ist den Betreibern sehr gelegen. Gemeinsam mit der Kunsthalle (Kunst meets Kommilitonen) sollen Veranstaltungen im und mit dem Planeten & Blumen stattfinden. Zukünftig soll sich der Club noch mehr für Kooperationen mir Projekten und Organisatoren der Kulturszene in und um Hamburg öffnen. Diese Vernetzungen gibt es bereits. So sind zum Beispiel Initiatoren des Clubs auch am Kunstspektakel „Dingdong“ beteiligt oder betätigen sich deutschlandweit als DJs. Hoffentlich haben die Macher des Planeten & Blumen diesmal einen längeren Atem für den Club mit der „Expect the Unexpected“ – Philosophie.

Published in SZENE HAMBURG 03/06

Glück ist anders


Retrospektive der Zeichnungen und Aquarelle Oskar Kokoschkas im Bucerius Kunst Forum.

Oskar Kokoschka war vom Augenblick fasziniert. Jenem magischen Moment, der nur Sekunden andauert und nur schwer festzuhalten ist. Schnell, intuitiv und spontan wirken seine Zeichnungen von Zeitgenossen, Tieren, Landschaften. Seine Modelle verwickelte er gern in Gespräche, um von der ungewohnten Situation abzulenken und dem Echten und Wahren der Person auf die Spur zu kommen. Das gelang ihm. Die Gezeichneten scheinen ganz sie selbst, festgehalten in einem Augenblick, unvergänglich.
In seinen Studien zu "Das Konzert" zeichnete Kokoschka mit schnellen, kräftigen Kreidestrichen Besucher einer Musikveranstaltung. Menschen, die zuhören. Sie haben die Augen geschlossen oder sehen - ganz dem Sinn des Hörens verschrieben - leeren Blickes am Betrachter vorbei. Erschrecken und Irritation verrät hingegen der Gesichtsausdruck der Gräfin Drogheda, die Kokoschka 1944 mit Kohle, Pastell und Aquarell auf Papier festhielt. Man erzählt sich, dass genau in dem Moment, als er die Adelige in London zeichnete, deutsche Bomben in der britischen Hauptstadt einschlugen.Kokoschka fror die Empfindungen mit schnellen, präzisen Strichen für die Nachwelt ein.
Mit 190 Arbeiten widmet sich die Ausstellung im Bucerius Kunst Forum dem zeichnerischen Werk Oskar Kokoschkas. Da es Zeitabschnitte gab, in denen Kokoschka wenig oder gar nicht zeichnete und sich eher der Malerei zuwendete, liegt der Ausstellung eine thematische, statt einer chronologischen Ordnung zugrunde. Die acht Themenkomplexe lassen so Gemeinsamkeiten in verschiedenen Lebenssituationen Kokoschkas erkennen und verbinden Früh- und Spätwerk des Malers. Zu sehen sind unter anderem seine Reiseskizzen (1940-1969), seine Entwürfe fürs Theater (1962-1974), Akte und Figuren (1905-1953) und seine Bildnisse (1911-1976).
Ein Komplex mit dem Titel "Glück ist anders - Kokoschka und Alma Mahler" zeigt Arbeiten Kokoschkas, die durch seine leidenschaftliche Beziehung zu Alma Mahler inspiriert sind. Höchstes Glück und tiefste Verzweiflung prägten die nur drei Jahre währende Liaison. Bevor er Alma kennen lernte, habe er, heißt es in einem Brief, nur ein „zeitloses, vegetatives Dasein“ geführt, danach das „Drama des Seins, Werdens, und Vergehens“ erlebt. Augenblick und Ewigkeit.


Text zur Ausstellung „Erlebnis des Augenblicks“ von Oskar Kokoschka; Bucerius Kunst Forum, bis 5.2.

Published in SZENE HAMBURG 01/06

Sicherheitscheck


Crash-Test heißt die erste Ausstellung im neuen Kunst - und Projektraum "Filter" mitten in der Innenstadt. Gerade hier künstlerische Positionen unter Schlagworten wie Sicherheit, Gewalt und Kontrolle zu versammeln, passt wie die Faust aufs Auge. Bei diesem „Crash“ prallen zwar keine Autos aufeinander – es fließt aber trotzdem Blut. „What´s a little blood amongst friends?”, fragt Naomi Fisher (Miami) und zeigt Zeichnungen und Fotos ihrer allzeit kampfbereiten Heroinen. Jeroen Jongeleen (Paris/Rotterdam), a.k.a. Influenza untersucht hegemoniale (Werbe-)Zeichen im öffentlichen Raum. Als dritter Künstler präsentiert Olaf Sobczak (Hamburg) seinen 15-minütigen Dokumentarfilm „United States of Exception“, der amerikanische Botschaften und ihre Sicherheitsmaßnahmen zeigt.

Christiane Opitz

Text zur Ausstellung „Crash Test“ mit Naomi Fisher, Jeroen Jongeleen und Olaf Sobczak

Gesang mit Tiefgang


Mit dem „Beschwerde-Chor Wilhelmsburg“ startet das Projekt SCHUTE der Galerie für Landschaftskunst

Zu wenig Geld im Portemonnaie, Regenwetter, nervige Handyklingeltöne – alles unerfreuliche Dinge von denen jeder ein Lied singen kann. Noch schöner lässt sich der persönliche Unmut über alltägliche Ärgernisse in Form eines mehrstimmigen Chores artikulieren. Das dachten sich die finnische Künstlerin Tellervo Kalleinen (FIN) und ihr deutscher Mann und Kollege Oliver Kochta-Kalleinen (D). Sie luden deshalb Einwohner Wilhelmsburgs ein, um Beschwerden zu formulieren, die von ortsansässigen Musikern vertont und dann öffentlich vorgetragen werden. Dieses Chorprojekt ist das dritte einer weltweiten Reihe von Beschwerde-Chören. Sieht man sich die Videos der beiden Vorgänger in Birmingham (2005) und Helsinki (2006) an, fallen vor allem die Unterschiede der Beschwerdegründe ins Auge- aller Globalisierung zum Trotz. Während in Birmingham in erster Linie über teures Bier, unfreundliche Busfahrer und langsame Computer geklagt wurde, ärgerten sich die Menschen in Helsinki besonders über ihre Mobiltelefone, stinkende Mitreisende in öffentlichen Verkehrsmitteln und die zu kurzen Sommer. Und was bringt die Hamburger auf die Palme? Wenigstens eine Erfahrung werden sie sicherlich mit Finnen und Engländern teilen: Meckern macht Spaß. Diesen Eindruck gewinnt der Betrachter jedenfalls beim Blick in die freudestrahlenden Gesichter der Sänger und Sängerinnen.

Der „Beschwerde-Chor Wilhelmsburg“ bildet den Auftakt einer Reihe von Aktionen und Ausstellungen, die im Rahmen des Projektes SCHUTE der Galerie für Landschaftskunst ab diesem Sommer stattfinden werden. Eine umgebaute Schute - jene, die bereits 2002 dem amerikanischen Künstler Mark Dion als biologische Forschungsstation diente – wird künftig an verschiedenen Punkten Wilhelmsburgs, Veddels und Harburgs als mobiler Ausstellungsraum fungieren.
Hauptanliegen der Kuratorinnen Corinna Koch und Iris Wehberg ist es, Anwohner der Viertel in die künstlerischen Prozesse einzubinden. Namhafte internationale Künstler werden mit Interessierten zu konkreten Themen gestalterisch arbeiten. Die Schute soll eine Kunst vermittelnde Rolle spielen und Projekte vor Ort anregen, die noch lange nach der Weiterreise des Schiffs bestehen bleiben.

Christiane Opitz

Tellervo Kalleinen & Oliver Kochta-Kalleinen: „Beschwerde-Chor Wilhelmsburg“; im Rahmen der SCHUTE/ Galerie für Landschaftskunst, Letzte Chor-Proben: 28., 29.6 + 1.7., Chor-Performance (Auftritt): 2.7., 17 Uhr auf dem Stübenplatz in Wilhelmsburg; www.schute-hamburg.de.

Published in SZENE HAMBURG 07/06