Freitag, März 02, 2007

Größer als das Leben


Das Bucerius Kunstforum zeigt im ersten Teil seiner Ausstellungstrilogie „150 Jahre Amerikanische Kunst (1800 – 1950)“ frühe Meisterwerke der Hudson River School.

Majestätische Bergrücken, sonnendurchflutete Täler, Sonnenaufgänge in zartrosé – Die Landschaften von Thomas Cole und anderen Vertretern der Hudson River School sind zu schön, um wahr zu sein. Wenn die Titel der Arbeiten nicht auf reale Orte, wie den Hudson oder die White Mountains verweisen würden, könnte man glauben, diese fast menschenleeren Auen und Küsten wären einem idealisierten Utopia entsprungen. Und teilweise sind sie es auch. Trotz des Anspruchs einer möglichst realistischen Abbildung der Natur, kam es vor, dass Cole & Co Teile aus anderen Gegenden in ihre eigenen Traumlandschaften einbauten, nie jedoch, ohne die Achtung und Ehrfurcht vor den Naturwundern ihrer Region, zu verlieren. Im Gegenteil: Die Überhöhung war unmittelbarer Ausdruck einer ehrlichen, von Herzen kommenden Respekts- und Liebesbekundung. Sie waren stolz auf ein Land, das als Nation zwar noch jung war, es aber erdgeschichtlich durchaus mit Europa aufnehmen konnte, den alten Kontinent sogar in naturbelassener Weite noch übertraf.
Die Hudson River School war ein loser Verband aus etwa 72 Landschaftsmalern, die Mitte des 19. Jahrhunderts im State New York lebten und wirkten. Ihre Sujets: die Naturschönheiten des Hudson Flusstals, felsige Schluchten und die Wälder der Catskill Mountains. Ihre wichtigsten Vertreter waren unter anderem der in Solingen geborene Albert Bierstadt, Sanford Robinson Gifford, Frederic Edwin Church und selbstverständlich Thomas Cole, der als Begründer der Bewegung gilt. Von ihrem Atelier in der New Yorker Tenth Street aus, unternahmen die Künstler ausgedehnte Sommerreisen in die Umgebung. Die dort angefertigten Skizzen und Aufzeichnungen dienten dann in den Herbst- und Wintermonaten als Vorlagen für die großen Gemälde.
Das Thema Landschaft war die wichtigste nationale Kunstgattung in den USA, die von Beginn an auf den Markt ausgerichtet war. Sammler rissen sich um die Bilder der Hudson River School, weil sie explizit „amerikanisch“ waren und die junge Nation aus Einwanderern durch ihre erhabenen Naturdarstellungen zu einen verstanden. Motive, wie die mächtigen Niagara Fälle oder das lichtdurchflutete Yosemite Valley, verbreiteten eine Aura des Göttlichen und man war der Auffassung, von oberster Stelle aus reich beschenkt worden zu sein. Aus diesem Selbstbewusstsein heraus speist sich der Glaube an eine bedeutende, zivilisationsgeschichtliche Rolle Rolle Amerikas in der Welt, die sich bereits in diesen frühen Äußerungen der amerikanischen Kunst manifestiert.
Die Erforschung des Kontinents in Richtung Westküste war in vollem Gange und ersten Touristen machten sich auf, ihr Land mit seinen Millionen Jahre alten Naturwunder zu erkunden. Nicht zuletzt motiviert durch die sehnsuchtsvollen, wild-romantischen Landschaftsdarstellungen der Hudson River School. Doch so träumerisch die Motive anmuten, so moralisch waren sie gleichzeitig gemeint. Den Malern ging nicht nur um schwelgerische Ausflüge in die unberührte Wildnis, die sakralen Huldigung heimatlicher Gefilde, sondern auch um einen naturwissenschaftlichen Anspruch - der Erforschung von Flora und Fauna. Thomas Cole machte in den 1830er Jahren zudem vor den Gefahren des industriellen Fortschritts aufmerksam, sah insbesondere im Ausbau des Eisenbahnnetzes eine große Bedrohung für die Natur. So sind seine hyperrealistischen Szenerien, immer auch als Mahnung zu verstehen, ganz so, als wolle er dem Betrachter sagen: Seht! Dieses Paradies gilt es zu bewahren!
Die Trilogie „150 Jahre Amerikanische Kunst (1800 – 1950)“ im Bucerius Kunstforum wird im nächsten Jahr mit impressionistischen Portraits des „Gilded Age“ fortgeführt und endet 2009 mit den „Großstadtbildern“ der Ash Can School bis Edward Hopper.

„Neue Welt. Die Erfindung der amerikanischen Malerei“. Frühe Meisterwerke der Landschaftskunst aus der Neuen Welt: Bucerius Kunstforum bis 28.5

>>> text: Christiane Opitz

PUBLISHED IN SZENE HAMBURG, MARCH 2007

Bildquelle: "View in the white Mountains" by Thomas Cole, 1827; Bucerius Kunstforum