Mittwoch, Januar 09, 2008

Pawlow´sche Fäuste


Georg Baselitz wird in diesem Monat 70 Jahre alt. Die Deichtorhallen zeigen aus diesem Anlass erstmals die "Russenbilder" des Malers, der die Kunst auf den Kopf stellte

Bevor sich Georg Baselitz seinem eigenen Werk zuwandte, indem er seine bekanntesten Bilder wie "Helden" oder "Orangenesser" ganz neu re-mixte, arbeitete er zwischen 1998 bis 2002 an einer Reihe von Motiven, die ebenfalls stark mit seiner Biografie verknüpft sind: Werken des Sozialistischen Realismus. Mit ihnen kam der junge Baselitz in den fünfziger Jahren in Berührung. Unter anderem in Schulbüchern waren die "Russenbilder", wie sie der Künstler etwas verächtlich nennt, abgebildet und am 1949 in der DDR als einzig zulässiger Stil progagiert worden. Zu sehen waren die üblichen Szenen: Geschichtsträchtige und zukunftsweisende Ereignisse der jüngsten russischen Geschichte, Kampfszenen aus dem Zweiten Weltkrieg und der Aufbau einer neuen kommunistischen Gesellschaft auf dem Lande. Nicht zu vergessen, Portraits von Lenin und Stalin sowie Darstellungen bekannter Wissenschaftler und einfacher Arbeiter, die als "Helden der Arbeit" zu Vorbild avancierten.
Baselitz wurde am 23. Januar 1938 als Hans-Georg Kern in Sachsen geboren, später sollte er seinen Künstlernamen von seinem Geburtsort Deutschbaselitz ableiten. Bevor er 1958 in den Westen übersiedelte, bekam er die Anfänge des Sozialistischen Realismus unmittelbar mit - er studierte in Ost-Berlin unter anderem bei Walter Womacka, einem der Hauptvertreter. Dass Baselitz diese ästhetisch verordnete und politische aufgezwungene Kunstgattung in seinen "Russenbildern" erneut hernimmt bedeutet für ihn ganz offensichtlich Versöhnung und Abrechnung zugleich.
Spannend wird es, wenn man erkennt, dass die Vorbilder selbst schon ambivalent waren. Auf dem Original von M.W. Nesterow "Portrait des Mitglieds der Akademie I.P. Pawlow" sitzt der Psychologe Pawlow an einem Tisch, die Arme weit nach vorne gestreckt, die Hände auf einem Arbeitsheft ruhend. Starr fixiert er einen Blumentopf auf dem Tisch. Entgegen des propagandistischen Dekrets, den Mann Zuversicht und Stärke ausstrahlen zu lassen, wie jemand, der sich mit aller Kraft in den Dienst seinen Landes stellt, haftet diesem grauhaarigen Herren beileibe nichts Heroisches an. Im Gegenteil. Alt und einsam wirkt er. Aufs Abstellgleis geschoben. Baselitz greift dieses Motiv 1998 auf. Anders als in den meisten seiner Werke steht das Bild nicht auf dem Kopf, sonder n ist lediglich um 45 Grad geneigt. Das bedeutet: Pawlow, dem der Künstler das Antlitz seines eigenen Vaters lieh, hängt förmlich in der Luft. Das Bild besteht aus eindrucksvoll leicht dahin getupften Pinselsprenkeln in Braun-Rot, Schwarz, Blau und Gelb, die an manchen Stellen spärlicher, an anderen dichter die Fläche besiedeln.
Konzentriert hat sich Baselitz in erster Linie auf die Figur und seine direkte Umgebeung. Tisch und Blumen sind nur grob skizziert und verorten sich in einer seltsam armen Weißfläche im unteren Drittel. In diese ragen nur die Hände hinein, was den Fokus auf die geballten Fäuste richtet, und somit auf diese Geste der Verzweiflung. Durch die Drehung des Motivs sind die Pawlow´schen Fäuste zum Dreh-und Angelpunkt geworden. Auf ihnen ruht nun die ganze Last.
Einsamkeit. Depression und Tod verstecken sich hier zwischen den heiteren, expressiv hingetupften Farben. Diese Gleichzeitig von Unbeschwertheit und Schwere begegnet man öfter auf den "Russenbildern", die aus vier stilistisch sehr unterschiedlichen Serien bestehen. In der Ausstellung hängen sie in nicht-chronologischen Reihenfolge: die pointilistischen Gemälde (1999), die Kriegsbilder (1998-1999), Lenin und Stalin (1998-2002) und die Lochbilder (2000-2002). In ihnen träte die "Malerei besonders frei und ungebunden in Erscheinung", schreibt Deichtorhallen-Direktor Robert Fleck im Katalog. So scheinen sie die malerisch starren Vorbilder geradezu aus den Angeln zu heben. Sogar ein Kriegsbild wie "Nach der SChlacht" (1999) vermag dies. Es ist ein Ölbild, das aber so verwaschen wie ein Aquarell daherkommt. Von weitem betrachtet mutet es wie ein abstraktes Blumenbild an. Warme Farben, wie pink, violett und gelb dominieren. Doch dann erkennt man Soldaten, Gewehre, Stiefel, einen Hund...

CHRISTIANE OPITZ
Published in SZENE HAMBURG, January 2008
Foto: Wolfgang Neeb, Georg Baselitz