Mittwoch, Februar 07, 2007

Sich selber sehen


Die Kunsthalle zeigt über 120 Arbeiten der finnischen Modernistin Helene Schjerfbeck (1862-1946).

Das zarte Mädchengesicht wirkt verloren und unendlich traurig. Riesige blaue Augen scheinen ins Leere zu blicken. Sie sind mit Tränen gefüllt. Wirres blondes Haar. Ihre Hände halten einen dünnen Zweig in einer Tasse, der genauso zerbrechlich wirkt, wie sie selbst. „Die Genesende“ heißt dieses Bild, gemalt 1888 von der in Europa wenig bekannten finnischen Künstlerin Helene Schjerfbeck. Obwohl der damals 27-Jähigen für dieses impressionistisch beeinflusste Bild 1889 auf der Weltausstellung in Paris die Bronzemedaille verliehen wurde, gelangte sie, trotz dieser frühen Erfolge nie zu dem großen Ruhm, der ihrem außerordentlichem Talent angemessen gewesen wäre. Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Vielleicht lag es an ihrem aufmüpfigen Wesen. Vom Realismus kommend und impressionistische Einflüsse aufgreifend verweigerte sich Schjerfbeck zur Jahrhundertwende der verordneten Nationalromantik ihrer nordischen Heimat und beschritt ihren ganz eigenen Weg. Selbstbewusst setzte sie moderne Kunstauffassungen um, nahm sogar bereits Momente der Abstraktion in einigen Bildern vorweg.
Möglicherweise war ihre schwache Konstitution der Grund für den ausbleibenden internationalen Erfolg. Schjerfbeck litt Zeit ihres Lebens unter starken Schmerzen, die sie 1902 sogar dazu zwangen auf weitere Reisen nach Paris, Florenz und Wien zu verzichten. In ihrer Heimat war sie zu diesem Zeitpunkt bereits eine der wichtigsten finnischen Künstlerinnen. Schjerfbeck zog sich aufs Land zurück und malte in den folgenden 50 Jahren selbstgewählter Isolation das einfache Leben von Schulmädchen und Näherinnen in ihrem ganz eigenen expressiven Stil. Zunehmend wählte sie sich selbst als Motiv. An eine Freundin schrieb sie: „Wo ich jetzt selten die Kraft habe zu malen, habe ich mit einem Selbstportrait begonnen, man hat das Modell immer zur Hand, nur ist es nicht immer so lustig, sich selber zu sehen.“ So zeigt das „Selbstbildnis mit Palette“ Schjerfbeck als 75-Jährige. Bis auf die Farben der Palette - blau, weiß, gelb und rot - ist das Bild vollständig in Grautönen gehalten. Auffällig sind die stark konturierten Augen, die den Betrachter aus dem hageren Gesicht heraus anblicken. Schonungslos dokumentiert die Malerin hier ihren eigenen körperlichen Zerfall.
Helene Schjerfbecks Selbstportraits sind es, auf die die Retrospektive der Kunsthalle einen besonderen Fokus richtet. Insgesamt werden über 120 Ölbilder, Aquarelle und Zeichnungen – darunter auch ihre bekannten Stilleben – gezeigt. Zu sehen sind Arbeiten, die nach dem Tod der Künstlerin selbst in Skandinavien noch nicht ausgestellt wurden.

Christiane Opitz

Helene Schjerfbeck, Retrospektive, 2.2. bis 6.5. Kunsthalle Hamburg (im Hubertus-Wald-Forum), Eröffnung: 1.2. 19 Uhr.

Published in SZENE HAMBURG, 2/2007

Bild: Helene Schjerfbeck, Selbstbildnis mit Palette 1, 1937
© Moderna Museet, Stockholm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2006