Dienstag, Oktober 18, 2011

Im Fluss


Zwei Projektionen, zwei Gefährte: links ein weißer 1989er Ford Escort, der auf schnurgerader Landstraße gemächlich an einem Fluß entlang rollt, rechts ein historischer Schaufelraddampfer. Dann zoomt die Kamera aufs Auto, das Bild beginnt, sich in Pixel aufzulösen. Im Wagen erkennt man zwei Personen, eine bedient vom Rücksitz aus eine Kamera, die direkt auf den Betrachter gerichtet zu sein scheint. Doch wenn man die Konstellation durchschaut, stellt man fest, dass die Kamera tatsächlich den Dampfer auf dem Fluss fixiert, der sich von der rechten Seite des Screens langsam auf die linke hinüber bewegt und offenbar vom fahrenden Auto aus aufgenommen wurde. Die beiden Fahrzeuge gleiten zum Rhythmus eines Techno-Tracks dahin, während immer wieder heran- und herausgezoomt wird.
„Es geht mir darum, den Betrachterblick zu destabilisieren. Durch das Zoomen wird die Perspektive fortwährend verändert, ist permanent im Fluss .“ Wenn Mark Soo vom „Zoomen“ spricht, bezieht er dies auf mehrere produktionstechnische Ebenen. Die Originalbilder entstanden ursprünglich mittels Digitalkamera und zeigen neben besagtem Ford den Dampfer Star of Knoxville auf dem Tennessee River. Der Film wurde nach dem Schnitt auf einem herkömmlichen LCD-Fernsehgerät abgespielt und von dort wiederum mit einer 35-mm-Kamera abgefilmt, um die Version für die Projektion zu erstellen (die nochmals digital abgefilmt wurde, um eine digitale Projektionsversion herzustellen). Dabei zoomt Soo langsam an die Oberfläche des LCD-Screens heran, so dass in der endgültigen Zwei-Kanal-Videoinstallation die Pixel erkennbar werden – was das Ganze bewusst wie eine Raubkopie wirken lässt.
Ein Film vom Film des Films: Wie in einer Rückkopplungsschleife bedingt hier eine Version die Entstehung einer weiteren. Und das ist bei Soo im Kern medienspezifisch gedacht.
„Ich wollte einen Dialog schaffen, zwischen dem Film und jener Technologie, die ihn bald ablösen sollte“, erklärt er. Dabei fungiert der LCD-Fernseher für ihn als eine Art „kulturgeschichtliches Echo“ zwischen einer veralteten Technologie der Dampfmaschine (Boot) und dem nachfolgenden Verfahren des Verbrennungsmotors.
Auch der Techno-Soundtrack verweist auf diese Technologien des Industriezeitalters, die für Fortschritt und Mobilität stehen. Soo sah einmal einen nachgebauten Mississippi-Schaufelraddampfer die English Bay in Vancouver durchqueren. Es lief elektronische Musik, die zu ihm herüber wehte, und er war verblüfft, wie gut die Bewegungen des großen dampfbetriebenen Antriebsrades mit dem Beat korrespondierten. Zugleich war er fasziniert von den formalen und kulturellen Assoziationen, die in diesem Bild zusammentrafen .
In den USA ist keine andere Stadt so sehr mit der Musikrichtung Techno verknüpft wie Detroit. Hier entwickelte sich Mitte der 80er Jahren der sogenannte Detroit-Techno, der Elemente aus der Funk-, der Electro-Funk und House verwendete und der als Wegbereiter des Techno der 90er Jahre gilt. Namen wie Juan Atkins (Bellville Three, Cybotron), Robert Hood (Underground Resistance) oder später der eigentlich aus Chicago stammende Theo Parrish – von dem der Track Falling up (bzw. Carl Craigs Remix) Soo für seine Videoarbeit verwendet hat – sind fest mit Detroit Techno verknüpft. Als dieser Stil vor etwa dreißig Jahren aufkam, war die Stadt schon nicht mehr jene einst prosperierende Motorcity.
Die Krise der Automobilwirtschaft hatte den Untergang der Industriestadt eingeleitet: Arbeitslosigkeit, Rassendiskriminierung und Gewalt prägten das soziale Leben – eine Atmosphäre, die auch großen Einfluss auf kreative, vor allem musikalische Prozesse hatte. Detroit Techno greift die desolate Stimmung auf, ist düster, melancholisch und steht damit bewusst im Kontrast zu einem andern Musikstil aus der Motorcity, dem R&B und der Soulmusik des bekannten Motown Labels. Der Techno aus der einstigen Autohauptstadt der USA ist konkreter sein großes, deutsches Vorbild „Kraftwerk“, die als Pioniere der elektronischen Musik gelten. Er ist beeinflusst vom Rhythmus der maschinellen Produktion seiner Heimatstadt. Autos und Musik: Beides wurde am Computer erdacht, beides unterlag hier dem Duktus des Kalten, Stampfenden und Minimalen.
Im Video von Soo ist Falling Up eine verbindende Klammer zwischen Detroit, der maschinellen Produktion und der Verschmelzung von Mensch und Maschine. Letzteres betont Soo durch einen Eingriff am originellen Parrish-Track. Gegen Ende des Videos ist eine technisch verzerrte Stimme zu hören. Die Verzerrung wird durch einen Vocoder erzeugt, jenem elektronischen Gerät, das in der Popmusik bisweilen für Effekte eingesetzt wird und die menschliche Stimme wie die eines Roboters klingen lässt. Wer genau hinhört, erkennt darin eine uramerikanische Erzählung: Mark Twains Die Abenteuer des Huckleberry Finn (1884), mit der nun erneut die Dampfmaschine „ins Boot geholt“ wäre.
Doch nicht zur technische, bzw. kulturgeschichtliche Verweise, die gleichermaßen auf Fortschritt, wie Regression anspielen, lassen sich in dieser Arbeit Mark Soos finden. Deutlich rekurriert „Several Circles“ auch auf die Kunstgeschichte, und zwar einen weiteren Pionier, diesmal einem der Performance- und Videokunst: Dan Graham. In seinen Projekten setzte er sich mit sozialer Interaktion in öffentlichen Räumen auseinander. In Two Correlated Rotations (1970-72) spielt er mit verschiedenen Perspektiven und Betrachtungsweisen und macht dabei die Medien Fotografie und Film selbstreflexiv zum Thema.
Kurz zuvor war 1967 Marshall McLuhans Das Medium ist die Massage: An Inventory of Effects (1967) erschienen, dass Graham inspiriert haben muss. Bei McLuhan heißt es sinngemäß, dass die Botschaft, die ein Medium transportiert, gar nicht so entscheidend ist. Wichtiger sei, was das Medium mit dem Menschen macht, wie es Kultur und die Art des Denkens verändere. Eine Botschaft – und hier schließt sich der Kreis – die auch im Werk von Mark Soo zum Ausdruck kommt.


1) Die Zitate von Mark Soo stammen aus einer E-Mail an die Autorin vom 7.5.2001
2) Mark Soo: On English Bay Party Boats and Detroit Techno (Interview), in: The Vancouver Sun, 14.12.2010
3) Ford warb 2000 mit dem Atkins-Stück No Ufos für sein neues Focus-Modell – Ein weiteres Beispiel für die Verbindung von Detroit-Techno und Autoindustrie.

Text: Christiane Opitz
Bild © Mark Soo, 2011

Im Fluss veröffentlicht im BE MAGAZIN #18, Herbst 2011





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