Donnerstag, April 12, 2007

Aufforderung zum Glück


Einfach mal einspannen, loslassen - das kann der Betrachter in den traumhaft schönen Landschaften Vivian Kahras. Märchenhafte Wälder in zarten Pastelltönen laden zu Spaziergängen ein, offene Lichtungen zum Bleiben. Manchmal begegnet man Menschen, anderen Flaneuren oder Sportlern, doch sie sind nicht auf Kommunikation aus, sondern wollen sich im Schoße der Natur verlieren.
Malereien als Naherholungsgebiete? Vivian Kahras Bildschöpfungen sind ambivalenter. Was hier noch mitschwingt, so romantisch-leicht ihre Landschaften auch anmuten, ist ein unbehagliches Gefühl, das Gefühl gespenstischer Einsamkeit. Diese ist sowohl einer entrückten Farbigkeit geschuldet als auch fragmentarischer Leerstellen, die große Teile der Szenerien zu verschlucken scheinen. In "Lichtung" aus dem Jahre 2006 nimmt eine solche Weißfläche fast zwei Drittel des Bildes ein. Im Hintergrund ragen fedrige Baumkronen in kühlen Blau- und Grüntönen in den farblosen Himmel. Davor ein Zaun, der sich nur schwach vor dem hellen Nichts abzeichnet. Am linken Rand, kleinere amorphe Löcher, die die Form der Äste und Sträucher immitieren. Hier scheinen Teile des Bildes wie mit einem Radiergummi entfernt worden zu sein.
Auch in der Arbeit "Passing the Forest" (2006) taucht dieser Kahlschlag auf. Auf der rechten Bildhälfte sieht man einen Baum, der nur noch schemenhafte Konturen aufweist. Man hat den Eindruck, nur noch Spuren seiner ursprünglichen Gestalt wahrzunehmen. Diese Flecken können als Aufforderung der Künstlerin verstanden werden, mit eigenen Fantasien die Szenerien zu vervollständigen, sich so eine private Glücksutopie zu schaffen. Andererseits demonstrieren die Auslöschungen Vergänglichkeit. Sie ähneln filmischen Einzelbildern, die nur flüchtig die Netzhaut des Betrachters streifen.
Die 35-Jährige selbst bezeichnet ihre Bildwelten als "materialisierte Erinnerungen", die sich lediglich in einer ehrlichen Sekunde offenbaren. Sie spielt bewusst mit Grenzverwischungen zwischen Innen und Außen. In ihren Bildern ist beides immanent: Sie zeigen Gedankenräume, die trotz ihrer Visualisierung auf Leinwand keine Beständigung aufweisen. Die Motive, Landschaften, Orte scheinen immer in Bewegung zu sein und ähneln so den fluktuierenden Kopfbildern. Die weißen Löcher treten dort auf, wo Bildinformationen in Vergessenheit geraten.

Vivian Kahra "Inner Movies": Galerie Peter Borchardt, 30.3. - 9.6.
Abbildung: Copyright Galerie Peter Borchardt

TEXT: CHRISTIANE OPITZ

Published in SZENE HAMBURG 4/2007