Mittwoch, Juli 30, 2008

Work in Progress



Der diesjährige Elbinsel Sommer nennt sich Kultur | Natur und erforscht mit künstlerischen Mitteln die Stadt im Klimawandel. Fast alle Werke entstehen vor Ort in Wilhelmsburg

Dass es klimatechnisch fünf vor zwölf steht, ist kein Geheimnis.Dürrekatastrophen, Tsunamis, Wetterchaos – jeden Tag hören wir in den Nachrichten davon. Noch scheinen die betroffenen Orte noch weit entfernt. Doch bald schon – auch das ist kein Geheimnis – werden auch wir die Folgen des weltweiten Klimawandels vor der eigenen Haustür deutlich zu spüren bekommen. Umso wichtiger ist es, sich über die
kulturellen geprägten Vorstellungen über Natur klar zu werden.Einen Beitrag dazu möchten die Kuratoren Anke Haarmann und Harald Lemke leisten. Unter ihrer Ägide steht die Kunst-Plattform des diesjährigen Elbinsel Sommers, das den Stadtraum im Hinblick auf das Verhältnis von Natur und städtischer Kultur hin befragt Anders als der erste Elbinsel Sommer, der 2007 zum Auftaktjahr der Internationalen Bauausstellung IBA mit einem so üppigen Programm antrat, dass man es kaum noch wahrnehmen konnte, setzt Kultur | Natur auf eine überschaubare Anzahl von Aktionen und eine starke Beteiligung aus dem Stadtteil. Interessant ist dabei, dass nicht nur Künstler, sondern auch Initiativen und Einrichtungen aus Wilhelmsburg an einer Kunst-Plattform mitwirken, bei dem sie auf internationale Theoretiker und Künstlergruppen und Künstler treffen. Praxis und Theorie kommen bei Kultur | Natur gleichermaßen zum Zug: So wirbt ein Parcours mit von Hamburger Kindern und Erwachsenen gestalteten Plakaten entlang der Strecke von St. Pauli nach Wilhelmsburg dafür, dass dort endlich ein Fahrradweg gebaut werden muss. In „Ausflügen des Denkens“ wird nachgedacht und zugehört, aber auch zusammen mit Wilhelmsburg-Experten und internationalen Gästen, wie der amerikanischen Philosophin Lisa Heldke, die gegensätzliche Natur der Elbinsel erkundet. In einem leer stehenden Café am malerischen Veringkanal entsteht ein „Archiv der Künste“, das in den letzten Jahren entstandene künstlerische Positionen zum Thema Ökologie versammelt und quasi „recycled“.
Auch von den aktuellen Projekten der ortsansässigen und internationalen Künstler wünschen sich Haarmann und Lemke Nachhaltigkeit und eine dauerhafte Bereicherung der städtischen Kultur. Deshalb haben alle beteiligten Künstler und Künstlergruppen, Ala Plastica aus Argentinien, Critical Art Ensemble (CAE) aus New York, Susan Leibovitz Steinman aus den USA über mehrere Wochen in Wilhelmsburg gelebt, Kontakte geküpft und ihre Arbeiten aus der Situation heraus entwickelt. Nur die Hamburgerin Nana Petzet kannte sich schon aus - sie wohnt seit einiger Zeit auf der Elbinsel - und
hat sich die Peute als Ort ihres Projektes „Peutengrund“ ausgesucht. CAE, die Provokateure von der amerikanischen Ostküste, machten in Deutschland zuletzt 2007 in ihrer Leipziger Ausstellung „Germs of Deception“ („Bakterien der Täuschung“) von sich Reden, als sie in der Halle 14 der Baumwollspinnerei eine harmlose Substanz freisetzten, die bisher von verschiedenen Militärorganisationen benutzt wurde, um
die Verbreitung von Erregern zu simulieren. Anhand von im Raum verteilten Petrischalen, konnten die Besucher Rückschlüsse über die Verteilung von Mikroorganismen ziehen - der Kunstraum wurde zum Labor. Mit seinen Installationen, Vorträgen und Performances hinterfragt und entmystifiziert das CAE die Gentechnologie und die Gefahr des Einsatzes von biologischen Waffen. Eigentlich klar, dass die Künstler dieses Kollektivs mit ihren Aktionen, besonders nach dem 11. September, in ihrer Heimat aneckten. Vor drei Jahren wäre CAE-Gründer, Steve Kurtz, fast für 20 Jahre hinter Gitter gewandert, weil man ihn für einen Bio-Terroristen hielt. An welchen Orten in Wilhelmsburg das CAE forschen wird, bleibt abzuwarten. Mögliche Wirkungsbereiche gibt es genug, wie etwa der Hafen oder die idyllischen, aber verseuchten Kanäle.
Bei Ala Plastica die Vernetzung künstlerischer Denk- und Arbeitsweisen mit der Entwicklung von Projekten im sozialen und ökologischen Bereich verknüpft. Die Gruppe wurde 1991 gegründet. Eigentlich widmen sich die Kunstaktivisten eher den Umweltproblemen in ihrer Heimat. 2004 kamen sie jedoch auf Einladung der Galerie für
Landschaftskunst auch nach Hamburg, um ein Konzept zur Renaturierung des Flusses Wandse zu erarbeiten. Dabei vernetzten sie sich in typischer Manier vor Ort mit unterschiedlichen Interessensgruppen. Was sie für die Elbinsel entwickeln, wird sich erst zeigen, wenn Kultur | Natur im September offiziell zu Ende geht - das Ala-Plastica-Projekt wird dann hoffentlich weiter kommunikative Früchte tragen.

Eröffnung mit einem Fahrrad-Umzug entlang des Plakat Parcours, 16.8., 15 Uhr, Treffpunkt: Alter Elbtunnel (St.Pauli).

Text: C. Opitz, Published in Szene Hamburg 08/2008
Bild: © Kultur | Natur


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