Dienstag, August 07, 2007

Unverdünntes Leben




Frivoles Nachtleben, Großstadttypen und soziale Randbezirke – Das Bucerius Kunstforum zeigt 100 Aquarelle, sowie drei illustrierte Kinderbücher des Erfinders der Neuen Sachlichkeit, Otto Dix.

Die Menschen, die Dix malte, sind alles andere als schön. Dürre, skelettartige Frauenkörper, ausgemergelt, die Brüste schlaff herunterhängend, so begegnen dem Betrachter Animierdamen im Berlin der Goldenen Zwanziger. Aus bunt geschminkten, greisen Fratzen schauen ihre Augen starr und kalt geradeaus. Auf den Straßen sieht es nicht besser aus. Kriegskrüppel, mit Loch im Gesicht oder einem Holzbein, gelbsüchtige Kranke, Mörder. Sind die Menschen auf Dix’ Bildern nicht krank, vom Verfall gezeichnet oder schon tot, hocken sie einsam auf Balkonen herum oder blicken stumm, wie ein älteres Ehepaar in der Zeichnung „Das Fenster“ (1923), am Leben vorbei.
Dix war ständig auf der Jagd nach dem, was er selbst das „unverdünnte Leben“ nannte. Aus diesem Grund begab er sich in die Rotlichtbezirke und Salons, auch außerhalb Berlins, und dokumentierte dort Szenerien, die von fatalistischer Amüsiersucht einerseits und dem zwanghaften Verlangen nach spießiger Aufgeräumtheit andererseits zeugten. Dix, der sich auf Selbstportraits stets als gut gekleideten Dandy inszenierte, sah sich als „Auge der Welt“. Seinem analytischen Blick sollte kein gesellschaftliches Konstrukt, keine menschlichen Schwächen, keine Doppelmoral verborgen bleiben. Formal presste er seine Eindrücke nicht in ein stilistisches Korsett, sondern verfuhr mit Pinsel und Stift so, wie es ihm die Realität diktierte. Dazu überzeichnete Dix, bis ins Groteske, aber nur um das wahrhaft Abgründige hervorzukehren.
Ein Motiv zieht sich wie kein zweites durch Dix’ Werk, die bekannte, hier gespenstisch anmutende Allianz zwischen Eros und Thanatos. Auf dem Bild „Älteres Liebespaar“ (1923) hat es sich ein hochbetagtes Duo auf der Chaiselongue bequem gemacht. Während sein linker Arm auf ihren fleischigen Schultern ruht, ist seine rechte, knochige Hand in ihrem entblößten Schritt zugange. Ihre geilen Körper wollen Leben, sind jedoch dem Tod viel näher.
Trotz dieser essentiellen und somit eher „schweren“ Sujets (oder gerade deshalb?), sind Dix’ Motive nicht frei von humorvollem Bildwitz, der von derbe bis feinsinnig variiert und der formal durch einen karikaturistischen Zeichenstil betont wird. So werden besonders die Spießbürger jener Zeit mit ihrer steifen Korrektheit der Lächerlichkeit preisgegeben. Scheinbar sanftere Töne schlägt der Künstler in seinen farbenfroh illustrierten Kinderbüchern an, die er für seinen Neffen und seine eigenen Kinder anfertigte und von denen drei in der Ausstellung zu sehen sind. Artisten, Cowboys und wilde Tiere tollen hier fröhlich über die Seiten. Doch Obacht. Dix wäre nicht Dix, wenn nicht auch hier und da versteckt das Unheil lauern würde...



Otto Dix: Geisterbahn und Glanzrevue. Aquarelle und Gouachen, Bucerius Kunstforum, bis zum 9.9.


PUBLISHED IN SZENE HAMBURG 8/2007 BY CHRISTIANE OPITZ


© VG Bild-Kunst, Bonn 2007
Foto: Christie's Images Ltd 2007