Dienstag, Mai 06, 2008

Reconstructing Future


Im Werk von Romana Schamlisch treffen futuristische Stadtlandschaften auf wissenschaftliche Interieurs

Der erste, unmittelbare Wahrnehmungsreiz ist ein akkustischer. Es rattert. Der ganze Raum ist davon erfüllt. Das Geräusch, gehört zu einem laufenden 16mm-Projektor. Dann fällt eine ungewöhnliche Konstruktion ins Auge: Das Filmband wird über Rollen über die gesamte Höhe der Galerie, über Decke und Wände geleitet, so dass der Eindruck entsteht, sich selbst innerhalb eines filmischen Apparates zu befinden. Der zweite Blick schließlich gehört dem projizierten Bild. Gezeigt wird der Film „Paléontologie“, der in einem Museum aufgebaute Skelette zeigt. Das unstete Kamerabild versetzt die toten Knochen in Bewegung – und den Ort ins Wanken.
Romana Schmalisch untersucht Fiktionen und Utopien, wie sie in futuristischer Literatur, aber auch in angeblich objektiver Wissenschaft Ausdruck finden. Der Titel der Ausstellung “Il braccio di Lucifero si pone 645 1/3 braccia“ ist einer Untersuchung entnommen, die sich auf die detaillierten Beschreibungen Dantes in der „Göttlichen Komödie“ stützt und behauptet, die genaue Armlänge Luzifers berechnen zu können. Auch Schmalisch greift Dantes Maßangaben auf. Ihre Arbeit „Hölle im Durchschnitt“ zeigt einen Lavastein in den neun Ringe hineingefräst wurden, maßstabsgetreu, nach den damaligen Berechnungen. Mit diesem Beitrag reiht sich die 32-Jährige in eine lange künstlerische und wissenschaftliche Tradition ein, in der Künstler seit dem 14. Jahrhundert versucht haben, Dantes Schilderungen der Passage durch Hölle, Fegefeuer und Paradies nachzuvollziehen und darzustellen. Schmalisch, fasziniert von diesen utopischen Manifestationen, begab sich auf die Suche nach anderen visionären Entwürfen. Sie fand sie in paläontologischen Museen, in der futuristischen Architektur indischer Observatorien oder in den Glasbauten des Architekten Bruno Taut, die er in Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Paul Scheerbart im frühen 20. Jahrhundert entwickelte. Letztere hat sie in der Ausstellung nachempfunden. Unter kuppelförmigen Glocken hat die Künstlerin filigrane Glaszylinder aufgestellt, die wie Reagenzgläser geformt sind. Unterschiedlich groß und immer anders gruppiert, fungieren sie als Modelle jener gigantischen Himmelstädte, die in Scheerbarts Roman „Lésabendio“ (1915) beschrieben wurden.
Es macht großen Spaß, Romana Schmalisch dabei zuzusehen, wie sie historisch gewachsene, auf wissenschaftliche Erkenntnisse basierende Dogmen mit einem Augenzwinkern ins Wanken bringt und sich für ihre Arbeit zu Eigen macht. Ein gelungener Beitrag zum immer noch boomenden „Art and Science“-Trend.

Romana Schmalisch: “Il braccio di Lucifero si pone 645 1/3 braccia“, Galerie Karin Guenther, bis 7.6.

PUBLISHED IN SZENE HAMBURG, MAI 2008, Bild: © Galerie Karin Guenther, Text: Opitz

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