Mittwoch, Oktober 01, 2008

Der Allrounder


Katharina Bittel eröffnet ihre eigenen Galerieräume in der Admiralitätstrasse – mit dem Norweger Øystein Aasan.

Gespenstische wirkt diese alte, körnige Schwarz-Weiß-Aufnahme vom Planeten Saturn. Blass, die Kugel, der Ring drum herum, das Ganze als Studie des Himmelskörpers in unterschiedlichen Größen. Unter und neben dem Foto ein Text, der mit Akribie Buchstabe für Buchstabe in ein dafür vorgesehenes Quadrat geklebt wurde. Die Überschrift lautet: „Saturn, 1936 (Yellow Negative)“. 1936? Woher stammen diese Aufnahmen? Der erste Satz des Textes gibt darüber Auskunft: „Ich weiß nun mehr über diese Bilder, seit ich eine kleine Notiz fand mit dem Namen ‚Slipher’ darauf.“
Ich - das ist der norwegische Künstler Øystein Aasan. In seiner „Planeten- Serie“ hat er Abzüge von alten Negativen entwickelt, die ursprünglich von dem US-Forscher E.C. Slipher aus den 20er-30er Jahren stammen. Die Texte sind Gedanken, die er sich während der Suche nach dem Urheber der Negative, notiert hatte. Die Standardisierung des Textes durch die immer gleiche Typographie unterstreicht die Glaubwürdigkeit der Zeilen und ist zugleich auch ein ästhetisches Statement. Diese Standardisierungen begegnen einem bei der „Magazin-Serie“ erneut. Wieder wird mit kleinen Quadraten gearbeitet, die diesmal nicht mit Sprache sondern mit Bildinformationen besetzt sind. Für diese Serie trennte Aasan aus alten Ausgaben amerikanischer Magazine Titelseiten und Werbung heraus, schnitt die Seiten in kleine Kästchen und setzte sie in gleichmäßigen Abständen wieder zusammen, immer mit einer Leerstelle dazwischen. Durch das formale Raster wird das Motiv gestreckt, der Betrachter kann die einzelnen Bildportionen nur mit einiger Verzögerung im Kopf zusammensetzen.
Aasan arbeitet interdisziplinär, verknüpft Kunst und Architektur mit Sprache und historischen Referenzen. Er ist ein Allrounder - und das bezieht sich nicht nur auf seine inhaltliche Arbeit. Aasan ist nämlich außerdem noch als Kritiker und Musiker bekannt.
Diese Professionen versteht er als weitere Ausprägungen seines Künstler-Ichs. Als Kritiker schreibt er für das tschechische Umelec, das norwegische Site oder das Berliner Artfanzine Neue Review. Als Leadgitarrist und Sänger der Band ACO (Art Critic Orchestra) unterstreicht der Norweger mit Coverversionen politischer Songs sein Image als Großstadtakteur.
Die Ausstellung mit Øystein Aasans ist die erste Ausstellung Katharina Bittels in ihren eigenen Galerieräumen. Bittel war anderthalb Jahre als Juniorpartnerin von Jürgen Becker tätig, bevor sie vor wenigen Wochen die ehemaligen Räume von Karin Günther (jetzt im 4. Stockwerk) in der 3. Etage der Admiralitätstrasse 71 übernahm. Als nächstes plant sie Ausstellungen mit Natalie Czech und Carsten Fock.


Øystein Aasan: “Don’t look now”, Galerie Katharina Bittel, bis 1.11.


Published in SZENE HAMBURG 10/08
© Foto: Galerie Katharina Bittel, Text: Opitz/VG Wort 2008


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Mittwoch, Juli 30, 2008

Work in Progress



Der diesjährige Elbinsel Sommer nennt sich Kultur | Natur und erforscht mit künstlerischen Mitteln die Stadt im Klimawandel. Fast alle Werke entstehen vor Ort in Wilhelmsburg

Dass es klimatechnisch fünf vor zwölf steht, ist kein Geheimnis.Dürrekatastrophen, Tsunamis, Wetterchaos – jeden Tag hören wir in den Nachrichten davon. Noch scheinen die betroffenen Orte noch weit entfernt. Doch bald schon – auch das ist kein Geheimnis – werden auch wir die Folgen des weltweiten Klimawandels vor der eigenen Haustür deutlich zu spüren bekommen. Umso wichtiger ist es, sich über die
kulturellen geprägten Vorstellungen über Natur klar zu werden.Einen Beitrag dazu möchten die Kuratoren Anke Haarmann und Harald Lemke leisten. Unter ihrer Ägide steht die Kunst-Plattform des diesjährigen Elbinsel Sommers, das den Stadtraum im Hinblick auf das Verhältnis von Natur und städtischer Kultur hin befragt Anders als der erste Elbinsel Sommer, der 2007 zum Auftaktjahr der Internationalen Bauausstellung IBA mit einem so üppigen Programm antrat, dass man es kaum noch wahrnehmen konnte, setzt Kultur | Natur auf eine überschaubare Anzahl von Aktionen und eine starke Beteiligung aus dem Stadtteil. Interessant ist dabei, dass nicht nur Künstler, sondern auch Initiativen und Einrichtungen aus Wilhelmsburg an einer Kunst-Plattform mitwirken, bei dem sie auf internationale Theoretiker und Künstlergruppen und Künstler treffen. Praxis und Theorie kommen bei Kultur | Natur gleichermaßen zum Zug: So wirbt ein Parcours mit von Hamburger Kindern und Erwachsenen gestalteten Plakaten entlang der Strecke von St. Pauli nach Wilhelmsburg dafür, dass dort endlich ein Fahrradweg gebaut werden muss. In „Ausflügen des Denkens“ wird nachgedacht und zugehört, aber auch zusammen mit Wilhelmsburg-Experten und internationalen Gästen, wie der amerikanischen Philosophin Lisa Heldke, die gegensätzliche Natur der Elbinsel erkundet. In einem leer stehenden Café am malerischen Veringkanal entsteht ein „Archiv der Künste“, das in den letzten Jahren entstandene künstlerische Positionen zum Thema Ökologie versammelt und quasi „recycled“.
Auch von den aktuellen Projekten der ortsansässigen und internationalen Künstler wünschen sich Haarmann und Lemke Nachhaltigkeit und eine dauerhafte Bereicherung der städtischen Kultur. Deshalb haben alle beteiligten Künstler und Künstlergruppen, Ala Plastica aus Argentinien, Critical Art Ensemble (CAE) aus New York, Susan Leibovitz Steinman aus den USA über mehrere Wochen in Wilhelmsburg gelebt, Kontakte geküpft und ihre Arbeiten aus der Situation heraus entwickelt. Nur die Hamburgerin Nana Petzet kannte sich schon aus - sie wohnt seit einiger Zeit auf der Elbinsel - und
hat sich die Peute als Ort ihres Projektes „Peutengrund“ ausgesucht. CAE, die Provokateure von der amerikanischen Ostküste, machten in Deutschland zuletzt 2007 in ihrer Leipziger Ausstellung „Germs of Deception“ („Bakterien der Täuschung“) von sich Reden, als sie in der Halle 14 der Baumwollspinnerei eine harmlose Substanz freisetzten, die bisher von verschiedenen Militärorganisationen benutzt wurde, um
die Verbreitung von Erregern zu simulieren. Anhand von im Raum verteilten Petrischalen, konnten die Besucher Rückschlüsse über die Verteilung von Mikroorganismen ziehen - der Kunstraum wurde zum Labor. Mit seinen Installationen, Vorträgen und Performances hinterfragt und entmystifiziert das CAE die Gentechnologie und die Gefahr des Einsatzes von biologischen Waffen. Eigentlich klar, dass die Künstler dieses Kollektivs mit ihren Aktionen, besonders nach dem 11. September, in ihrer Heimat aneckten. Vor drei Jahren wäre CAE-Gründer, Steve Kurtz, fast für 20 Jahre hinter Gitter gewandert, weil man ihn für einen Bio-Terroristen hielt. An welchen Orten in Wilhelmsburg das CAE forschen wird, bleibt abzuwarten. Mögliche Wirkungsbereiche gibt es genug, wie etwa der Hafen oder die idyllischen, aber verseuchten Kanäle.
Bei Ala Plastica die Vernetzung künstlerischer Denk- und Arbeitsweisen mit der Entwicklung von Projekten im sozialen und ökologischen Bereich verknüpft. Die Gruppe wurde 1991 gegründet. Eigentlich widmen sich die Kunstaktivisten eher den Umweltproblemen in ihrer Heimat. 2004 kamen sie jedoch auf Einladung der Galerie für
Landschaftskunst auch nach Hamburg, um ein Konzept zur Renaturierung des Flusses Wandse zu erarbeiten. Dabei vernetzten sie sich in typischer Manier vor Ort mit unterschiedlichen Interessensgruppen. Was sie für die Elbinsel entwickeln, wird sich erst zeigen, wenn Kultur | Natur im September offiziell zu Ende geht - das Ala-Plastica-Projekt wird dann hoffentlich weiter kommunikative Früchte tragen.

Eröffnung mit einem Fahrrad-Umzug entlang des Plakat Parcours, 16.8., 15 Uhr, Treffpunkt: Alter Elbtunnel (St.Pauli).

Text: C. Opitz, Published in Szene Hamburg 08/2008
Bild: © Kultur | Natur


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Dienstag, Juli 01, 2008

Von Wiesen und Wäldern


In ihrer zweiten Gruppenausstellung zeigt die Galerie Hafenrand in St. Georg fünf Positionen zum Thema Landschaft.

Der Farbauftrag wirkt flüchtig, ausdrucksstark, leidenschaftlich. Rot, blau, gelb, grün – sämtliche Farben des Regenbogens lassen die Seele nicht unberührt. Vor dem Betrachter entfalten sich Seerosenteiche, Blumenwiesen, bunt bewachsene Hügel, Waldlichtungen. Man braucht nicht viel Phantasie, um die abstrakten Formen und Flächen, die sich eigentlich nicht unmittelbar auf Gegenständliches beziehen, zu eben diesen Landschaften zusammenzusetzen.
Doch diese Bilder halten nicht lange Stand. Schaut man länger hin, schmelzen die Pflanzen und Bäume zu amorphen Gebilden, zu Zellhaufen zusammen. Die Naturdarstellungen Magdalena Sadziaks bieten ein Refugium, einen Rückzugsort vom alltäglichem Hin und Her. Gleichzeitig feiern sie farbenfroh und temperamentvoll die Schönheit von Wiesen und Wäldern.
Im Gegensatz zu Sadziaks Arbeiten sind die großformatigen Pastellzeichnungen von Friederike Jokisch, die in Leipzig Malerei bei Arno Rink und Neo Rauch studierte, konkreter. Und düsterer. Bei Jokisch breiten sich unter grau-schwarzem Himmel Landschaften aus, die unheimlicher und seltsamer nicht sein könnten. Hier ein Feld, in dem, tiefe Tümpel wie schwarze Löcher darauf zu lauern scheinen, alles zu verschlingen, was des Weges kommt. Dort eine rätselhaft kultivierte Landschaft mit ihren immergleichen, kegelförmigen Bäumen und Schatten. Irreal wirken diese Orte, nicht von dieser Welt.
Sveinn Fannar Johannsson wiederum beschäftigt sich mit realen Landschaften seiner nordischen Heimat, die jedoch noch modifiziert werden. Der 1977 in Reykjavik geborene Künstler fokussiert in seinem Videos und Fotografien auf die „Künstlichkeit“ von Natur. Johannsson nimmt Eingriffe vor, pflanzt um, kappt, sägt. Wenn er damit fertig ist, ist nichts mehr wie zuvor. Auf der Fotografie „Zurrgurt mit Ratsche“ (2007) beispielsweise schmiegen sich drei junge Birken schützend aneinander. Könnte man denken. Tatsächlich hat hier der Künstler nachgeholfen, wie es der Titel verrät.
Die Vierte im Bunde, Yvette Kiessling, zeigt Radierungen und Malereien, die auf Reisen entstanden sind, also im direkten Kontakt zur Natur. Auf eine exakte Wiedergabe jedoch legt die Künstlerin keinen wert. Vielmehr geht es ihr um genaue Beobachtungen von Licht, Geografie und Flora. Der letzte Beitrag zum Thema Landschaft stammt vom Künstlerduo Rindfleisch/Rapedius. Sie imitieren Natur auf humorvolle Weise. Stichwort: Pappbecher.

Friederike Jokisch, Rindfleisch/ Rapedius, Magdalena Sadziak, Sveinn Fannar Johannsson
Yvette Kiessling: „Ohne mich stehst du im nichts“, Galerie Hafenrand (St. Georg), Eröffnung: 2.7., 19 Uhr, bis 12.9.

Bild:© Galerie Hafenrand, Text: © VG WORT, Christiane Opitz

PUBLISHED IN SZENE HH, JUNI 2008






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Dienstag, Juni 10, 2008

KILL KILL KILL


Die neue Galerie Conradi widmet ihre erste Ausstellung der Hamburger Künstlerin Cordula Ditz

Ängstlich schleicht das Teenagermädchen durch das dunkle Gebäude. Unheilvolle Musik. Dann, plötzlich, ein gellender Schrei! Schnitt. Das Mädchen liegt am Boden. Blut ist überall. Der maskierte Mörder hat wieder zugeschlagen.
Wer kennt sie nicht, die nervenzerfetzenden Gruselschocker aus dem Kino. Carrie von Stephen King, Nightmare of Elmstreet oder Poltergeist haben wohl jedem von uns schon einmal schlaflose Nächte bereitet. Das Schocker-Prinzip ist immer dasselbe: Zuerst wird eine idyllische Kleinstadt mit unglaublich netten Nachbarn und harmlosen Jugendlichen präsentiert, die dann von irgendeinem Superfreak – einem Michael Myers oder Freddy Krueger – in Angst und Schrecken versetzt wird. Die Fallhöhe muss hoch sein, um absoluten Horror zu garantieren.
Dass die Künstlerin Cordula Ditz ein eingefleischter Horrorfilm-Fan ist, lässt sich nicht leugnen. Ihre Malereien, Collagen und Videoarbeiten sind Zeugnisse ihrer Faszination für die Ästhetik des Unheimlichen, wie sie in Fantasy-, Horror- und Trashfilmen angelegt ist. Die Welt der Dämonen und Monstren wird von der 1972 in Hamburg geborenen Künstlerin in Hinblick auf ihre mediale Wirksamkeit untersucht, seziert und humorvoll kommentiert. Für die Videoarbeit „Nightmare on Elmstreet 2:36:21“ beispielsweise eliminierte sie alle Menschen und Tiere, was den Film von einer Länge von 90 Minuten auf zweieinhalb Minuten zusammenschrumpfen lässt. Wie ergeht es dem Horrorschocker, wenn die ängstlich flüchtenden und sterbenden Hauptfiguren fort sind? Wirkt der Film ohne seine aufgerissene Münder und starren Augen überhaupt noch? Ditz zeigt, dass eine unheimliche Atmosphäre auch den Settings des Films innewohnt. Verlassene Räume, spärliches Licht – erstaunlich, aber auch ein menschenleerer Horrorfilm kann Angst machen.
Genau wie ihre Videos spielen auch ihre Malereien, meist mit Acryl und Sprühfarbe auf großformatiger Leinwand gefertigt, mit Versatzstücken. Oft ist es ein Ausspruch oder Satzfragment aus einem Horrorklassiker, der in die expressiven, trashig-abstrakten Arbeiten eingebaut ist. „I make you die slowly“, „Dreh dich nicht um“ oder schlicht: „Kill Kill Kill“ lauten die Titel ihrer Bilder.
Mit Cordula Ditz öffnet die neue Galerie Conradi im Schopenstehl 20, unweit der Mönckebergstraße, zum ersten Mal ihre Türen. Die Betreiberin, die sich den Galerienamen von ihrem Lebensgefährten borgte und fast drei Jahre nach passenden Räumen suchte, ist im Hamburger Kunstfeld keine Unbekannte. Elena Winkel machte sich vor allem durch die Index-Ausstellung, die jedes Jahr junge Kunst aus der Hfbk zeigt, einen Namen.

Cordula Ditz, Galerie Conradi, Schopenstehl 20 (Hamburger Innenstadt), Eröffnung: 13.6. um 19 Uhr, bis 25 Juli.

text: christiane opitz, published in szene hamburg, june 2008

foto © galerie conradi/ cordula ditz





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Dienstag, Mai 06, 2008

Reconstructing Future


Im Werk von Romana Schamlisch treffen futuristische Stadtlandschaften auf wissenschaftliche Interieurs

Der erste, unmittelbare Wahrnehmungsreiz ist ein akkustischer. Es rattert. Der ganze Raum ist davon erfüllt. Das Geräusch, gehört zu einem laufenden 16mm-Projektor. Dann fällt eine ungewöhnliche Konstruktion ins Auge: Das Filmband wird über Rollen über die gesamte Höhe der Galerie, über Decke und Wände geleitet, so dass der Eindruck entsteht, sich selbst innerhalb eines filmischen Apparates zu befinden. Der zweite Blick schließlich gehört dem projizierten Bild. Gezeigt wird der Film „Paléontologie“, der in einem Museum aufgebaute Skelette zeigt. Das unstete Kamerabild versetzt die toten Knochen in Bewegung – und den Ort ins Wanken.
Romana Schmalisch untersucht Fiktionen und Utopien, wie sie in futuristischer Literatur, aber auch in angeblich objektiver Wissenschaft Ausdruck finden. Der Titel der Ausstellung “Il braccio di Lucifero si pone 645 1/3 braccia“ ist einer Untersuchung entnommen, die sich auf die detaillierten Beschreibungen Dantes in der „Göttlichen Komödie“ stützt und behauptet, die genaue Armlänge Luzifers berechnen zu können. Auch Schmalisch greift Dantes Maßangaben auf. Ihre Arbeit „Hölle im Durchschnitt“ zeigt einen Lavastein in den neun Ringe hineingefräst wurden, maßstabsgetreu, nach den damaligen Berechnungen. Mit diesem Beitrag reiht sich die 32-Jährige in eine lange künstlerische und wissenschaftliche Tradition ein, in der Künstler seit dem 14. Jahrhundert versucht haben, Dantes Schilderungen der Passage durch Hölle, Fegefeuer und Paradies nachzuvollziehen und darzustellen. Schmalisch, fasziniert von diesen utopischen Manifestationen, begab sich auf die Suche nach anderen visionären Entwürfen. Sie fand sie in paläontologischen Museen, in der futuristischen Architektur indischer Observatorien oder in den Glasbauten des Architekten Bruno Taut, die er in Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Paul Scheerbart im frühen 20. Jahrhundert entwickelte. Letztere hat sie in der Ausstellung nachempfunden. Unter kuppelförmigen Glocken hat die Künstlerin filigrane Glaszylinder aufgestellt, die wie Reagenzgläser geformt sind. Unterschiedlich groß und immer anders gruppiert, fungieren sie als Modelle jener gigantischen Himmelstädte, die in Scheerbarts Roman „Lésabendio“ (1915) beschrieben wurden.
Es macht großen Spaß, Romana Schmalisch dabei zuzusehen, wie sie historisch gewachsene, auf wissenschaftliche Erkenntnisse basierende Dogmen mit einem Augenzwinkern ins Wanken bringt und sich für ihre Arbeit zu Eigen macht. Ein gelungener Beitrag zum immer noch boomenden „Art and Science“-Trend.

Romana Schmalisch: “Il braccio di Lucifero si pone 645 1/3 braccia“, Galerie Karin Guenther, bis 7.6.

PUBLISHED IN SZENE HAMBURG, MAI 2008, Bild: © Galerie Karin Guenther, Text: Opitz

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Dienstag, Februar 05, 2008

Ordnung der Dinge


Der Künstler Nir Alon macht Möbel zu Stars in einem Schauspiel

Es blättert Farbe ab von den kleinen Tischen, Kommoden und Stühlen, die hier so kunstvoll übereinander gestapelt sind. Kein Wunder, denn die Möbel sind gebraucht. Sie stammen von einem Second-Hand-Laden in Harburg. Dort kaufen eigentlich Menschen ein, denen selbst Ikea noch zu teuer ist. Und eben der in Hamburg lebende israelische Künstler Nir Alon. In der Galerie Tinderbox präsentiert er diese durchgesessenen Sessel, zerkratzten Schränke und wackligen Tischchen als Installation, die raumfüllend die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich zieht. Dabei schmiegen sich die über- und nebeneinander angeordneten Einrichtungsgegenstände ganz natürlich an die Galeriewand an.
Es ist eine neue Ordnung, die Alon hier vornimmt und sie erregt nicht den leisesten Zweifel. Alles – so scheint es – befindet sich genau am richtigen Platz. Selbst die drei Möbelstücke, die einzig von einem klapprigen Bürostuhl gehalten werden oder der dunkle Schrank mit den Glastüren, der auf einem viel zu kleinen Tisch steht. Doch dann, plötzlich, wirken die Gegenstände mit ihren Gebrauchsspuren doch etwas fremd im cleanen White Cube der Galerie. Wie Auswanderer in einer neuen, noch unbekannten Heimat. Wie Alons Eltern, die einst von Europa aus in den Nahen Osten immigrierten oder wie der Künstler selbst, der die umgekehrte Richtung einschlug.
Die Vergangenheit seines Materials, die auch bei der „arte povera“ eine zentrale Rolle spielte, ist für Alon wichtig. Die hölzernen Möbel erzählen von vielen Geschichten, Gefühlen und Dramen - von einem Leben vor ihrer Zeit als Teil eines Kunstwerks, als noch auf ihnen gesessen oder an ihnen gespeist wurde. Doch Mitleid erregen will der Künstler nicht. Vielmehr inszeniert er die alten Helden des Alltags, wie Stars in einem Schauspiel, indem er indem er ihnen eine Bühne bereitstellt, sie mit Licht ausstattet und sie dann wohlwollend den Blicken der Besucher überlässt.
Teil des Spiels sind auch die zahlreichen kunstgeschichtlichen Verweise. Von Dada, Environment-Kunst, die die Trennung von Kunst und Leben zu überwinden suchte, über Aktionskunst der 60er Jahre, Objektkunst bis hin zu Fluxus. Namen, wie Robert Rauschenberg, Marcel Duchamp oder Joseph Beuys fallen einem ein. Letzterer hatte in seiner Arbeit „Erdbeben im Palast“ von 1981 ebenfalls Möbel und verschiedene Alltagsgegenstände verwendet.

Nir Alon: The state of things, Tinderbox, Billwerder Neuer Deich 72 (Rothenburgsort), bis 15.2. Infos unter: www.tinderbox-art.com


SZENE HAMBURG, 02/2008, Text: Christiane Opitz
FOTO: Tinderbox

Mittwoch, Januar 09, 2008

Pawlow´sche Fäuste


Georg Baselitz wird in diesem Monat 70 Jahre alt. Die Deichtorhallen zeigen aus diesem Anlass erstmals die "Russenbilder" des Malers, der die Kunst auf den Kopf stellte

Bevor sich Georg Baselitz seinem eigenen Werk zuwandte, indem er seine bekanntesten Bilder wie "Helden" oder "Orangenesser" ganz neu re-mixte, arbeitete er zwischen 1998 bis 2002 an einer Reihe von Motiven, die ebenfalls stark mit seiner Biografie verknüpft sind: Werken des Sozialistischen Realismus. Mit ihnen kam der junge Baselitz in den fünfziger Jahren in Berührung. Unter anderem in Schulbüchern waren die "Russenbilder", wie sie der Künstler etwas verächtlich nennt, abgebildet und am 1949 in der DDR als einzig zulässiger Stil progagiert worden. Zu sehen waren die üblichen Szenen: Geschichtsträchtige und zukunftsweisende Ereignisse der jüngsten russischen Geschichte, Kampfszenen aus dem Zweiten Weltkrieg und der Aufbau einer neuen kommunistischen Gesellschaft auf dem Lande. Nicht zu vergessen, Portraits von Lenin und Stalin sowie Darstellungen bekannter Wissenschaftler und einfacher Arbeiter, die als "Helden der Arbeit" zu Vorbild avancierten.
Baselitz wurde am 23. Januar 1938 als Hans-Georg Kern in Sachsen geboren, später sollte er seinen Künstlernamen von seinem Geburtsort Deutschbaselitz ableiten. Bevor er 1958 in den Westen übersiedelte, bekam er die Anfänge des Sozialistischen Realismus unmittelbar mit - er studierte in Ost-Berlin unter anderem bei Walter Womacka, einem der Hauptvertreter. Dass Baselitz diese ästhetisch verordnete und politische aufgezwungene Kunstgattung in seinen "Russenbildern" erneut hernimmt bedeutet für ihn ganz offensichtlich Versöhnung und Abrechnung zugleich.
Spannend wird es, wenn man erkennt, dass die Vorbilder selbst schon ambivalent waren. Auf dem Original von M.W. Nesterow "Portrait des Mitglieds der Akademie I.P. Pawlow" sitzt der Psychologe Pawlow an einem Tisch, die Arme weit nach vorne gestreckt, die Hände auf einem Arbeitsheft ruhend. Starr fixiert er einen Blumentopf auf dem Tisch. Entgegen des propagandistischen Dekrets, den Mann Zuversicht und Stärke ausstrahlen zu lassen, wie jemand, der sich mit aller Kraft in den Dienst seinen Landes stellt, haftet diesem grauhaarigen Herren beileibe nichts Heroisches an. Im Gegenteil. Alt und einsam wirkt er. Aufs Abstellgleis geschoben. Baselitz greift dieses Motiv 1998 auf. Anders als in den meisten seiner Werke steht das Bild nicht auf dem Kopf, sonder n ist lediglich um 45 Grad geneigt. Das bedeutet: Pawlow, dem der Künstler das Antlitz seines eigenen Vaters lieh, hängt förmlich in der Luft. Das Bild besteht aus eindrucksvoll leicht dahin getupften Pinselsprenkeln in Braun-Rot, Schwarz, Blau und Gelb, die an manchen Stellen spärlicher, an anderen dichter die Fläche besiedeln.
Konzentriert hat sich Baselitz in erster Linie auf die Figur und seine direkte Umgebeung. Tisch und Blumen sind nur grob skizziert und verorten sich in einer seltsam armen Weißfläche im unteren Drittel. In diese ragen nur die Hände hinein, was den Fokus auf die geballten Fäuste richtet, und somit auf diese Geste der Verzweiflung. Durch die Drehung des Motivs sind die Pawlow´schen Fäuste zum Dreh-und Angelpunkt geworden. Auf ihnen ruht nun die ganze Last.
Einsamkeit. Depression und Tod verstecken sich hier zwischen den heiteren, expressiv hingetupften Farben. Diese Gleichzeitig von Unbeschwertheit und Schwere begegnet man öfter auf den "Russenbildern", die aus vier stilistisch sehr unterschiedlichen Serien bestehen. In der Ausstellung hängen sie in nicht-chronologischen Reihenfolge: die pointilistischen Gemälde (1999), die Kriegsbilder (1998-1999), Lenin und Stalin (1998-2002) und die Lochbilder (2000-2002). In ihnen träte die "Malerei besonders frei und ungebunden in Erscheinung", schreibt Deichtorhallen-Direktor Robert Fleck im Katalog. So scheinen sie die malerisch starren Vorbilder geradezu aus den Angeln zu heben. Sogar ein Kriegsbild wie "Nach der SChlacht" (1999) vermag dies. Es ist ein Ölbild, das aber so verwaschen wie ein Aquarell daherkommt. Von weitem betrachtet mutet es wie ein abstraktes Blumenbild an. Warme Farben, wie pink, violett und gelb dominieren. Doch dann erkennt man Soldaten, Gewehre, Stiefel, einen Hund...

CHRISTIANE OPITZ
Published in SZENE HAMBURG, January 2008
Foto: Wolfgang Neeb, Georg Baselitz