Montag, November 12, 2007

Neue Utopien


Der kroatische Künstler David Maljkovic betrachtet kulturelles Erbe aus der fernen Zukunft

Unheilvolles Brummen erfüllt den Raum, der teilweise mit Rigipsplatten verkleidet ist. Es klingt wie der Motor eines Raumschiffes. Dann tut sich eine Schneelandschaft auf. Die Fahrt geht rasant. Die Kamera filmt ein silbern glänzendes Space-Auto, das sich in kurvigem Gelände seinen Weg bahnt. Die Reise führt zu einem Gebäude mit nicht minder futuristischer Äußerem. Genau wie der Wagen schimmert seine metallische Außenhaut in der Sonne. Die "Besucher", die dem Auto entsteigen und das seltsame Gebäude staunend in Augenschein nehmen, kommunizieren in einer fremdartigen Singsprache miteinander. Ist dies ein heiliger Ort, fragen sich die Fremden? Nein, so kommen sie überein. Ein Gott existiert hier nicht. Was gibt es hier zu tun? Umfunktionierung, lautet ein Vorschlag.
Und genau das macht auch David Maljkovic. In seiner Videoinstallation "Scenes for New Heritage" setzt sich der kroatische Künstler mit dem von Vojin Bakic (1905-1992) erbauten Denkmal in Petrova Gora auseinander, konnotiert es durch seine künstlerische Auseinandersetzung neu. Der modernistische Bau, das muss man wissen, ist Teil des kollektiven Gedächtnisses seiner Generation (Maljkovic ist Jahrgang 1973). Während der 1980er Jahre war das Kriegsopfer-Mahnmal ein obligatorisches Ausflugsziel für die kommunistische Jugend. Als Maljkovic 2003 nach Petrova Gora zurückkehrte, fand er den einstigen Vorzeige-Bau vollkommen vernachlässig vor. Er war erstaunt über das überwältigende und faszinierende Gefühl der Absenz, das dieser, in seiner Erinnerung so lebendige Ort, plötzlich hervorrief. Er begann, an dem Drehbuch für eine Videoserie zu schreiben. 2004 entstand dann der erste Teil der Trilogie "Scenes for New Heritage", der im Mai 2045 spielt. 2006 folgten dann Teil zwei und drei. Warum spielen Maljkovics Szenen in der Zukunft? Um dem historischen Ort eine neue Ebene zu geben, die eine geschichtliche und politische Deutung ausklammert. Ihn beschäftigt die Tatsache, dass ein ehemals so mit Bedeutung aufgeladener Ort zu einem leeren Raum werden kann. Diese Leere betont Maljkovics, indem er eine zukünftige Zeit wählt, die keine Linearität mehr zur Vergangenheit aufweist. "Ich nutze den Raum der Zukunft als ein Element von Offenheit," erklärt der 34-Jährige dazu in einem Interview mit der Kunsthistorikerin Natasha Ilic. Als Vor- und Nachbereitung zu seinen Videoarbeiten sieht Maljkovic seine Collagen, die aus zeichnerischen Elementen, Folien und Schrift bestehen und die im zweiten Raum des Kunstvereins zu sehen sind. Keinesfalls sollten diese jedoch als didaktisches Zubrot verstanden werden. Es sind völlig eigenständische Arbeiten, die dem Betrachter neue Utopien eröffnen.


David Maljkovic: Almost Here. Kunstverein in Hamburg, bis zum 18.11.


Published in SZENE HAMBURG 11/07 by Christiane Opitz
Foto: "Szene for new heritage", Whitechapel Art Gallery, London, 2007