Sonntag, Dezember 03, 2006

„Ich komme vom Gesicht einfach nicht los“


Die Blankeneser Portraitmalerin Danka Kowalski forscht nach den Geschichten hinter den Gesichtern. In jeder Falte, in jedem Blick spürt sie der Vergangenheit ihrer Modelle nach. Kowalski malt Seelenlandschaften

Behutsam legt der Mann auf dem Bild seine Hände um den Vogel. Der Mann ist alt, Falten durchfurchen sein Gesicht. Um seinen Mund herum wirkt es seltsam eingedrückt, was daran liegt, dass er sein Gebiss nicht trägt. Trotzdem wirkt er würdevoll. Seine Augen drückt so viel aus, Trauer und Schmerz – und gleichzeitig närrischen Schalk und Zärtlichkeit, die ganze Palette der Emotionen eben, die ein spannendes Leben wie seines zu bieten hat.
Bei dem Vogel handelt sich um eine verletzte Taube, die er in seiner Wohnung in St. Pauli hält, erzählt Danka Kowalski, die Malerin dieses Portraits, und bei dem Mann, um Sylvin Rubinstein, einen 92-jährigen, ehemaligen Weltstar, der in den dreißiger Jahren als Flamencotänzer große internationale Erfolge feierte.
Danka Kowalski lächelt, als sie von Rubinstein erzählt. „Manchmal flucht er ganz fürchterlich auf jiddisch,“ grinst sie, „oder er bekommt diesen stechenden Blick, wenn er von seinem Widerstand gegen die Nazis erzählt.“
Danka ist ein zierliche Person mit wilder, rotbrauner Lockenmähne und wachem Blick. Und sie redet schnell, die Worte sprudeln förmlich aus ihrem Mund, eingefärbt in einem charmanten polnischen Akzent. „Was ich male, sind die Geschichten von Menschen. Das ist es was mich interessiert.“, sagt sie. Am liebsten sind ihr daher ältere Gesichter, die im wahrsten Sinne „vom Leben gezeichnet sind“. Diese verewigt sie in Öl, formatfüllend und fotorealistisch, auf mittelgroßen Leinwänden.

Geschäftig huscht die agile Frau durch ihr offenes und helles Atelier, zieht mal hier mal dort Skizzen, Fotos und Malereien aus Stapeln hervor und erzählt in einem nicht abreißen wollenden Wortstrom von den Geschichten der Menschen, die auf den Bildern zu sehen sind.
Da ist zum Beispiel Isi, 84 Jahre, eine Frau mit wachen, freundlichen Augen, die ihr mit ihrer Art unglaublich imponiert hat. Richtige Freundinnen sind sie geworden, in der kurzen Zeit, die sie sich kannten. Oder der Vater einer Freundin, der bereits sterbenskrank gewesen ist, als sie ihm zum ersten Mal begegnet. Das Modellsitzen bei Danka, lässt ihn aufblühen. Aus Pietät malt sie ihn ohne seinen Beatmungsschlauch. Als er stirbt, werden ihre Bilder rund um den Sarg herum aufgestellt. Die Tante ihrer Freundin Joanna aus Warschau wiederum trifft sie nie. Es gibt nur Fotos als Anhaltspunkte. Zum Glück hat ihre Freundin die Idee mit dem Tonband. Sie nimmt heimlich Erzählungen der Tante auf und schickt die Kassette nach Hamburg. Mit der spannenden Lebensgeschichten im Ohr, malt die Künstlerin mehr, als auf den Fotos zu sehen ist. Das Gesicht weist beeindruckende Charakterspuren auf und eine Tiefe, die man selten in gemalten Portraits vorfindet.

Danka Kowalskis eigene Geschichte ist ähnlich turbulent, wie die ihrer Modelle. Sie studiert in Warschau an der Kunstakademie, als Ende der 60er Jahre antisemitische Stimmung im Land aufkommt. Unter Innenminister General Moczar werden insgesamt etwa 20.000 polnische Juden zum Verlassen des Landes unter Verlust der Staatsbürgerschaft gezwungen, darunter auch Danka und ihr Mann. Nach Stationen im ehemaligen Jugoslawien und Holland, kommen beide als Asylsuchende nach Deutschland. In Düsseldorf studiert Danka dann von 69 bis 71 an der Kunstakademie. 1975 gehen sie nach Hamburg, wo ihr Mann eine Stelle als Physiker bei DESI bekommen hat. Die kleine Familie – inzwischen sind sie zu dritt - lässt sich unweit des Forschungszentrums in Blankenese nieder, wo die Künstlerin heute noch mit ihrem Mann lebt. Danka studiert weiter an der Kunsthochschule am Lerchenfeld, bekommt zwei weitere Kinder und reist mit ihrer Familie bald hier bald dorthin, zwei Jahre Genf, Israel und USA. „Das Leben war ziemlich abwechslungsreich“, kommentiert sie bescheiden ihre ereignisreiche Biografie.
Trotz der zahlreichen Stationen in ihrem Leben: Blankenese ist und bleibt ihre Heimat, denn hier befinden sich Dankas Freunde, ihre Arbeit und ihr bezauberndes Heim, ein ehemaliges Kapitänshäuschen, direkt an der Elbe gelegen. Und - was der Künstlerin und politisch engagierten Frau besonders wichtig ist - hier passiert etwas. In ihrer Umgebung gibt es zahlreiche interessierte Menschen, die etwas auf die Beine stellen, Ausstellungen organisieren oder zur Geschichte Blankeneses recherchieren, zum Beispiel im „Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese“ oder der sehr aktiven Kirchengemeinde.

Geschichten sind überall. Besonders schöne, spannende und dramatische spiegeln sich in den Augen der Gesichter wider, die Danka Kowalski auf ihren Bildern festgehalten hat.
Und dennoch gibt es Momente, wo sie sich nach neuen künstlerischen Herausforderungen sehnt. Dann will sie „weg vom Gesicht“ und hin zur Abstraktion. Von Benedikt, dem „Freund einer Freundin“ fertigte sie unzählige Bilder an, nur mit Ausschnitten seines Gesichtes. Sie ging sehr nah heran, dachte, die Formen würden sich mit der Zeit auflösen und sie zur „reinen Malerei“ führen. Sie wollte die Persönlichkeit des Mannes in eine abstrakte Form bringen, ihm dort ein Denkmal setzen. Letztendlich scheiterte dieses Unterfangen. „Ich komme vom Gesicht einfach nicht los,“ seufzt die 60-jährige schicksalsergeben, aber nicht unglücklich.
Rubinstein schaut gnädig aus seinen Augenwinkeln hinunter auf die kleine Frau. Die Gesichter an den Wänden lächeln.

text: Christiane Opitz

Published in ALTONA MAGAZIN Ausgabe 2/2006 (November 2006)

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